Stück für Stück zur Macht
Je mehr Metall, desto mächtiger die Träger*innen: Im Schamanengewand in der Ausstellung «Stückwerk» steckt viel Geschichte und Kraft.
Sieben Kilo ist das Schamanengewand schwer. 105 metallene Applikationen hängen an den bräunlichen Lederstreifen und Fellstücken. Es ist ein wahres Stückwerk.
Am auffälligsten unter den Applikationen sind eine menschliche Figur, ein Vogel sowie eine weitere Tierfigur. Fünf runde Scheiben und 17 Platten, an denen 72 Stäbe und fünf Glöckchen hängen, geben dem über hundertjährigen Gewand noch mehr Gewicht.
Er hat einen Vogel
Es gehörte einem Schamanen der Sacha (Jakuten), aus Sibirien. Das eindrückliche Stück zeigt exemplarisch, um was es in der Ausstellung «Stückwerk» u.a. geht: um Praktiken des Verbindens. Wird etwas aus Einzelteilen zusammengefügt, kann das Ganze neue Bedeutung erlangen.
Tatsächlich steckt in allen Metallteilen Symbolkraft: Die länglichen Stäbe etwa ahmen Vogelfedern nach. Die Scheiben stellen die Erde und Sonne dar, die Platten Vogel- und Menschenknochen – von berühmten schamanischen Vorfahren. Das persönliche Schutzgeistwesen des Gewandbesitzers war vermutlich ein Vogel.
In Teamarbeit hergestellt
Die Herstellung spielte auch eine grosse Rolle. Die Metallapplikationen waren Teamarbeit: Während der Produktion führten Schamane und Schmied gemeinsam rituelle Handlungen an den Metallgegenständen und mit diesen durch, um die Verbindung zwischen den Dingen und ihrer künftigen Aufgabe als Verkörperung der Geistwesen sicherzustellen.
Im Laufe einer Schamanenkarriere konnten weitere Applikationen produziert und am Gewand angebracht werden. Je erfolgreicher ein Schamane arbeitete, je mehr Geistwesen er in Dienst nehmen konnte, desto mehr Repräsentationen dieser Wesen akkumulierte er. Je mehr Anhänge, desto mächtiger wurde der Schamane.
Ein Gewand konnte über 20 Kilogramm wiegen. Ob der Schamane seine Kraft aus den Metallstücken generierte oder ob die Applikationen «bloss» das Zeichen seiner Macht waren, bleibt ungeklärt.