In die Seele blicken
Ein neues Gerät erleichtert die Materialbestimmung und gewährt faszinierende Einblicke in das Innenleben von Objekten.
Es sieht aus wie ein Insekt, mit Stielaugen, langen schwarzen Fühlern und einem weissen Körper. Das Binokular ist ein hoch willkommener Neuzugang in unserer Abteilung Restaurierung / Konservierung und bereits rege in Gebrauch.
Abteilungsleiterin Judith Huber sagt, mit Kopflupen alleine lasse sich nicht alles erkennen, was wichtig ist für die Arbeit des Teams. Insbesondere bei der Bestimmung von Materialien oder Herstellungstechniken ist das Binokular fast unabdingbar. Es ermöglicht Feinstarbeit.
Rie Suzuki inspiziert auf einer Holzfigur, die in der Ausstellung «Stückwerk» zu sehen sein wird, eine undefinierte Schicht. Sie will klären, ob es sich dabei um Flechten oder aber Farbreste handelt. Durch das Binokular erkennt sie, dass es eine aufgetragene Schicht, mit eher glatter Oberflächenstruktur ist. D.h., es handelt sich vermutlich um Farbe.
Bei Materialfragen arbeiten wir auf mikroskopischer Ebene
Zum Vergleich richtet sie das Binokular auf eine Stelle mit Flechten. Die Oberflächentextur ist gröber, uneben, gewachsen, wie Suzuki sagt. Auch Zuschauer*innen können alles mitverfolgen, auf einem Bildschirm neben dem Gerät. «Eine erste Einschätzung kann von Auge gemacht werden», erläutert die Fachfrau, «aber eine genauere Analyse ist nötig und bei solchen Materialfragen arbeiten wir auf mikroskopischer Ebene.»
Es wird nicht nur durchs Binokular beobachtet, sondern auch darunter gearbeitet. Jetzt liegt unter dem Instrument ein nicht mal handtellergrosses Reliquiengefäss. Darin liegen – eingewickelt in kleine Textilienstücke, verziert mit goldenen Metalldrähten oder Glasperlen und geschützt durch gefältelten Karton – etliche winzige Knochenteile sowie Haare von Heiligen. Selbst durchs Mikroskop ist die Beschriftung auf den darauf geklebten Papierstreifchen kaum entzifferbar.
Augustin Duc entfernt mit einer Pinzette Schmutz, in Millimeterarbeit. Oft sind es Hinterlassenschaften von Insekten, wie Anne-Rose Bringel erklärt. Auf dem Bildschirm sieht es aus, als ob Duc einen grossen braunen Haufen herauszieht. In Wirklichkeit ist der Haufen ein winziges Knäuel brauner Partikel.
Jeglicher Schmutz, der nicht zum Gegenstand gehört, sollte entfernt werden. Vor allem von Objekten aus organischen Materialien, denn Insekten lieben diese Ablagerungen. «Sie mögen auch Staub», sagt Bringel.
Staub kann sich aber auch schädlich auf die Objekte aus anorganischen Materialien, wie Metall und Glas, auswirken und beispielsweise Korrosion befördern, weiss Friederike Szlosze. Deshalb überprüft und reinigt das Team übrigens auch regelmässig alle Exponate in den laufenden Ausstellungen.
Duc lässt uns nun tief in ein weiteres, birnenförmiges Reliquiengefäss schauen. Auch dieses wird in «Stückwerk» ab Ende April ausgestellt. Braune Stellen zeigen, dass dort wahrscheinlich früher etwas befestigt war. Vielleicht Verzierungen?
Heiliges Wasser und Seidenfäden
Unsere Expert*innen wissen, dass Reliquien spezielle Behandlungen zuteilwurden. Wurden sie mit Wasser gewaschen, galt dieses dann auch als heilig.
Auf dem Bildschirm sind selbst feinste Seidenfäden erkennbar. «Durch das Binokular enthüllt sich die Seele der Objekte», sagen Bringel und Duc feierlich.