Eine Kette der Liebe?
Im Rahmen eines Tutorats an der Universität Basel haben Studierende Objekte aus der MKB-Sammlung ausgesucht, dazu recherchiert und Blogbeiträge verfasst. (Teil 6 – letzter Teil)
Das MKB ist im Besitz einer Bernsteinhalskette. Um den Bernstein und dessen Herkunft rankt sich ein polnisch-kurpischer Mythos, die Liebesgeschichte der Seegöttin Jurata und des Fischers Kastytis. Dieser Mythos dient bisweilen als Erklärung für den Ursprung des Bernsteins in der Region.
Jurata, Herrscherin der Meere, die in einem Bernsteinpalast auf dem Meeresboden lebte, wurde eines Tages in ihrer Ruhe gestört. Jemand fischte in ihren Gewässern. Erzürnt wollte sie den Übeltäter zurechtweisen. Beim Anblick des jungen, gutaussehenden Fischers namens Kastytis vergass sie dies. Sie verliebte sich in den Sterblichen und besuchte ihn jeden Abend am Meeresufer.
Ihr Glück währte aber nicht lange. Als der Donnergott Perkunas davon erfuhr, zerstörte er wutentbrannt mit einem Blitz ihr Bernsteinschloss und tötete nicht nur Jurata, sondern auch Kastytis. Die Trümmer des Schlosses stoben dabei auseinander und verteilten sich über die Gewässer und das Land.
Aus Polen, nicht aus dem Baltikum
Die Bernsteinhalskette im MKB könnte frei nach diesem Mythos aus den Überresten des Bernsteinschlosses der Jurata bestehen. Sie zählt 56 Perlen, die orange, gelblich und bräunlich sind. Einige weisen Gebrauchs- und/oder Bearbeitungsspuren auf. Inventarisiert wurde die Kette unter der Nummer VI 57314.
Sie kam als Teil einer Schenkung des Anthropologen Borys Malkin um 1980 in den Besitz des Museums. Auf der Karteikarte zur Kette steht als Ortsangabe: Polen Warschau Nasielsk.
Enthalten in den Sammlungsakten zu diesem Einlauf sind Notizen von Malkin, in denen er unterstrich, dass diese Kette nicht aus Bernstein aus dem Baltikum, sondern aus der Region Kurpie in Polen gefertigt sei. Kurpie liegt nördlich von Warschau.
Malkins Präzisierung ist bemerkenswert, weil die baltische Ostseeküste weltweit als das Gebiet mit dem üppigsten Vorkommen an Bernstein gilt. Allerdings wurde in der Region Kurpie schon seit Jahrhunderten Bernstein abgebaut und verarbeitet.
Symbol für Fruchtbarkeit
Hersteller des Objekts soll laut Malkin ein gewisser S. Deptula gewesen sein. Einst sei die Bernsteinverarbeitung ein verbreitetes Handwerk gewesen, der «berühmte» Deptula sei angeblich der beste darin gewesen. Die Kette sei allerdings von seinem Sohn hergestellt worden.
Die Ketten wurden über Generationen weitervererbt und häufig bei Hochzeiten an die Bräute verschenkt. Der Bernstein galt als Zeichen der Fruchtbarkeit. Ein kurpisches Sprichwort versichert, dass das Tragen von Bernstein der Frau vier Söhne bringt. Wegen seiner Abstammung aus dem Meer wird er auch mit dem Leben assoziiert.
Tränen aus Bernstein
Die Kurpie haben noch einen eigenen Bernsteinmythos, der von den Tränen der Bewohner spricht. Es wird vom 40-tägigen Regen erzählt, der das Land überschwemmte und den Tränen, die in Trauer vergossen wurden. Dabei sollen diese sich in Bernstein verwandelt haben, als sie ins Wasser fielen.
In beiden Fällen, bei Jurata und den Tränen der Kurpie fällt auf, dass eine enge Verbindung zum Meer bzw. zum Wasser besteht. Dies erstaunt, da die Region Kurpie nicht ans Meer grenzt.
Eine mögliche Erklärung für das Bernsteinvorkommen in der Kurpie ist, dass Gletscher Bernstein aus dem Baltikum bis in diese Gegend getragen hatten. Zugleich ähnelt diese Geschichte jener von Phaeton aus der griechischen Mythologie – ebenfalls eine Ursprungslegende für den Bernstein. Phaetons Schwestern weinen um ihn und ihre Tränen werden zu Bernstein.
Harzige Wahrheit
Heute weiss man, dass Bernstein aus Harz besteht, das sich an der Luft verhärtet bzw. versteinert. Aus Holz, das im Wasser schwimmt, löst sich der Bernstein in einem jahrelangen Prozess durch die Strömung des Wassers heraus und wird an die Oberfläche getrieben.
Dies ist ein gutes Beispiel, um zu zeigen, dass Mythen meist nicht nur unterhaltsame Erzählungen sind, sondern häufig ein Stückchen Wahrheit – hier das natürliche Vorkommen von Bernstein inner- und ausserhalb des Wassers – drinsteckt.