Bierselig
Im Rahmen eines Tutorats an der Universität Basel haben Studierende Objekte aus der MKB-Sammlung ausgesucht, dazu recherchiert und Blogbeiträge verfasst. (Teil 4)
Priscila Franke: Liebe Inful, die Leute haben dich in einem Werbevideo gesehen und fragen sich, wer oder was du bist?
Inful: Ich bin eine sogenannte Inful und diene als Kopflaterne in Form einer Bischofsmütze beim Kaltbrunner «Chlausgang». Ich bin aus zwei zusammengenähten Lederstücken gemacht, mit einer Öffnung, um den Kopf eines Menschen zu bedecken. Deswegen bin ich auch eine Maske. Damit der Mensch noch atmen kann, lasse ich durch eine angenähte Ledernase Luft rein. Auch Löcher für Augen und Mund fehlen nicht.
Oberhalb des Kopfes beginnt der spannendste Teil von mir. Es öffnet sich ein kleiner Fächer mit drei Wölbungen, wie der geöffnete Federschwanz eines Pfaus. Auf den beiden Lederteilen sind ausgeschnittene Formen zu sehen, die von der Innenseite her mit transparentem, farbigem Papier bedeckt wurden. Diese Pfau-Öffnung ist von oben offen, damit eine Kerze reingesteckt werden kann, welche die kleinen Formen zum Leuchten bringt.
Wozu benutzt man dich denn?
Die Tradition, zu der ich erscheine, findet heute noch alle drei bis fünf Jahre in Kaltbrunnen im Kanton St. Gallen Ende November in der Nacht statt. Ich bin mit meinem Leuchten die Hauptsensation in der Bekleidung der zwölf Kaltbrunnerkläuse. Diese versammeln sich zur Feier des Nikolaustages. Sie bewegen sich dabei durch das Dorf und zeigen ihre Tanzschritte, die sogenannte Volte beziehungsweise Doppelvolte.
Auf ihrem Weg durch den Ort verteilen die Kläuse Gebäck. Im Gegenzug erhalten sie ebenfalls eine Gabe. Vor der Kirche versammeln sie sich zur «Referenz». Das ist eine Zeremonie, bei der die Kläuse sich zur Kirche hin verneigen und dieser ihre Ehre erweisen. Ausserdem werden die Kläuse von «Geisslechlöpfer», einem Esel und einem Eselführer begleitet.
Ich mache aus den zwölf ledigen Männern, welche die zwölf Apostel darstellen sich als Kläuse verkleiden, ein bisschen unheimliche Figuren, das muss ich gestehen. Womöglich sollte ich auch Kinder erschrecken. Ich komme allerdings aus einer so alten Tradition, dass ich im Lauf der Zeit auch schon anderen Zwecken gedient habe. Jetzt werde ich nicht mehr für das Fest gebraucht, sondern befinde mich im Museum.
Wie kam es dazu?
Das weiss ich nicht mehr genau. Erstmals erwähnt wurden Masken wie ich im Zusammenhang mit den Festlichkeiten am St. Nikolaustag im Jahr 1674. Man begann aber erst 1932 mit dem Dokumentieren der Tradition.
Danach musste ich aber nicht lange warten, um auch von einem Museum aufgenommen zu werden. 1939 brachten mich Vertreter*innen der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde (SGV) nach Basel ins damalige «Schweizerische Museum für Volkskunde».
Inventarisiert wurde ich unter der Nummer VI 11390. Zu der Zeit sprach man in der Schweiz von der «Geistigen Landesverteidigung», die mit einem erstarkenden Nationalismus einherging. Die SGV, die sich damals dem Sammeln von «volkstümlichen» Bräuchen, Liedern und Gegenständen widmete, erhielt starke finanzielle Unterstützung von der Landesregierung. Dass ich gesammelt wurde und ins Museum gelangte, ist somit auch ein Zeichen dafür, dass ich als etwas typisch (ur-)schweizerisches auch in einem grösseren gesellschaftlichen Zusammenhang eine Bedeutung erhielt. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich nun plötzlich in einem Werbevideo für Bier auftauche, also in der Alltagskultur verortet werde.
Deine Geschichte zeigt, dass der Kontext bei allen Objekten mitzudenken ist. Wer benutzt dich? Wo kommst du vor? Wann bist du wichtig? Wer sammelt dich und wozu? Du bist Trägerin menschlicher Handlung, Intention oder Geschichte.
Es freut mich, dass ich neue Perspektiven und insbesondere Neugierde wecken kann. Ich beuge mich vor euch und verabschiede mich.