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Ostereier an der Fasnacht

Was haben Ostereier aus der Ukraine, die Samtene Revolution in Tschechien und die Basler Fasnacht miteinander zu tun?

Die «närrische» Reise durch Europa startet im Museum der Kulturen Basel. In der Sammlung befinden sich rund 10 000 Ostereier, darunter etwa 100 aus der Ukraine. Das Gestalten von Ostereiern ist dort eine verbreitete und beliebte Tradition: Den Eiern wurden früher magische Kräfte nachgesagt und bis heute werden sie als Glücksbringer verschenkt.

Beschrieben werden die pysanky mit einer Wachsreservetechnik. Die verwendeten Motive verleihen dem Ei zusätzliche Wirkmacht. So symbolisiert zum Beispiel das Pferd Kraft, Ausdauer, Reichtum, Wohlstand, oder der Vogel gilt als ein Vorbote des Frühlings, ein Bote der Sonne und des Himmels.

Bräunliches Osterei, auf dem in der oberen Hälfte ein Pferd eingeritzt ist und in der unteren Hälfte ein Zickzack-Muster.

Ukrainisches Osterei in der Sammlung des MKB

Der Reichtum an Motiven hat auch die tschechische Künstlerin Jitka Petrášová inspiriert: Für die letztjährige Ausgabe der Prager Fasnacht stellte sie leuchtende Larvenhüte aus Peddingrohr und Papiermaché für die musikalische Gruppe «Schlauchband» her. Die Formen nehmen die Motive von ukrainischen Ostereiern auf.

Petrášová sagt: «Sie sollten die schützende Begleitung der Parade sein. Die Motive und Symbole stammen aus vorchristlicher Zeit, viele aus frühen slawischen Kulturen, und sollten dem Ei magische Kräfte verleihen, böse Geister abwehren, den Winter vertreiben, eine gute Ernte garantieren und Glück bringen.»

Menschenmenge bei Nacht. Man sieht nur die beleuchtete Kopfbedeckung in Form von künstlerischen Eiern.

Die Prager Schlauchband mit Larvenhüten, die inspiriert sind von ukrainischen Ostereiern © Jan Hromádko 2022

Während sich die Schweiz nun im Fasnachtsmodus befindet, wird die Prager Fasnacht jeweils am 17. November gefeiert. Sie geht auf ein persönliches Schlüsselerlebnis von Olga V. Cieslarová zurück: 2011 erlebte die tschechische Theaterstudentin zum ersten Mal die Basler Fasnacht – und wurde regelrecht umgehauen von der Kreativität und der Satire, die ihr begegneten.

Ihr wurde klar: Auch in Tschechien existiert ein satirisches und kreatives Potenzial, das nur geweckt und genutzt werden muss. Sie begann, mit Freund*innen in Prag eine eigene Fasnacht auf die Beine zu stellen. 2012 fand die erste Prager Fasnacht Sametové posvícení statt.

Basler*innen marschieren mit

Anstelle von Cliquen wie in Basel erarbeiten in Prag NGOs mit Schulklassen und anderen interessierten Gruppen gesellschaftskritische Sujets. Cieslarová knüpfte aber auch Kontakte in die Basler Fasnachtsszene: Künstler*innen aus Basel veranstalteten Larven- und Laternenworkshops in Prag und jedes Jahr sorgen Cliquen, Guggen oder Schyssdräggziigli aus Basel für die musikalische Begleitung der Parade.

Ein paar Personen, die Piccolo spielen, weisse Larven tragen und weisse Kopflaternen, die wie Kunstwerke daherkommen.

Das Basler Schyssdräggziigli mit kunstvollen Larvenhüten, entworfen von Kristýna Kužvartová © Jan Hromádko 2022

Anders als die Basler Fasnacht findet die Parade in Prag nicht gegen Ende des Winters statt. Olga Cieslarová und die Mitorganisator*innen haben bewusst den 17. November ausgewählt. An diesem Tag gedenkt Tschechien des Beginns der Samtenen Revolution im Jahr 1989.

Der Tag ist voller Emotionen

Für Cieslarová bietet dieser Tag einen idealen Rahmen, um in feierlicher Stimmung das Zeitgeschehen satirisch zu kommentieren: «Der Tag ist voller Emotionen. Jedes Jahr verspüren die Menschen den Wunsch und das Bedürfnis, wieder auf die Strassen zu gehen, um sich an die Ereignisse und die Atmosphäre von 1989 zu erinnern und das Ende des kommunistischen Regimes zu feiern. Aber die Freiheit brachte und bringt auch Probleme mit sich. Deshalb fanden wir es grossartig, etwas von der Basler Form in diesen Tag zu bringen. Die Basler Fasnacht ermöglicht, gemeinsam zu feiern und gleichzeitig auf die problematischen Aspekte der Gesellschaft hinzuweisen. Wir wollten ein neues Stadtritual schaffen.»

Bei Nacht strahlen tausende von Kerzen vor einem beleuchteten Gebäude.

Jedes Jahr am 17. November werden Kerzen am Denkmal der Samtenen Revolution angezündet

Die Ausgabe 2022 der Prager Fasnacht war stark geprägt vom Krieg in der Ukraine. In Tschechien leben viele geflüchtete Menschen aus der Ukraine, zudem ist die sowjetische Besetzung des eigenen Landes tief im kollektiven Gedächtnis verankert. Das Organisationskomitee der Prager Fasnacht beschloss aus diesem Grund, dieses Jahr keine Satire zu machen, sondern geflüchteten Menschen aus der Ukraine eine Ausdrucksmöglichkeit zu geben.

Symbol für Hoffnung

Unter dem Motto «Die Reise ist noch nicht zu Ende» waren nebst den Larvenhüten, deren Formen sich auf die ukrainischen Ostereier beziehen, auch Kinder mit zerstörten Kartonhäusern oder Sonnenblumen auf dem Kopf unterwegs. Ein grosser beleuchteter Storch – in der Ukraine ein Symbol für Hoffnung – breitete während der Parade seine schützenden Flügel über die Menschen aus und begleitete sie symbolisch auf ihrer Reise.

Vor einer Kirche mit vielen Statuen an der Fassade wird ein weisser Storch an Stäben hochgehoben. Von wem sieht man nicht. Denn es ist Nacht.

Der tschechisch-ukrainische Storch des Künstlers Josef Koblic vor dem Tor an der Karlsbrücke © Jan Hromádko 2022

Die Beziehung zwischen Basel und Prag wird weiter intensiviert: In der Ausstellung «Nacht» des MKB – die Ende April aufgeht – wird eine leuchtende Nachtwächter-Figur von der Prager Fasnacht aus dem Jahr 2021 zu sehen sein. Und in Prag wird zurzeit eine Ausstellung mit dem Titel «Beneath the mask» über die Verwobenheit der beiden Fasnachten geplant.