Stückwerk: geflickte Krüge, Patchwork, Kraftfiguren

Ausstellungstext

Unter Stückwerk verstehen wir zwei Kategorien von Werken: solche, die aus Stücken zusammengesetzt, und solche, die in Stücke zerfallen sind oder sich auf dem Weg
dahin befinden. Dabei stellen wir die Kraft des Verbindens, die Kunst des Trennens
und die Wucht des Zerstörens ins Zentrum.

Vom Einfachen bis zum Kostbaren, vom Zweckmässigen bis zum Ausgefallenen, vom Selbstverständlichen bis zum Aussergewöhnlichen und vom Aufgelassenen bis zum Ruinierten – in jedem Fall stehen die Stückwerke für individuelles Können und kulturspezifisches Wissen, für Geschichte und Geschichten, die mitunter auch von Verletzungen, Wunden und Zerstörung berichten. Die Stücke bleiben in ihrem fragmentarischen Charakter sichtbar und regen so die Fantasie an. Zudem legen sie
durch ihre Beschaffenheit und die verwendeten Materialien kulturelle Erfordernisse
und Funktionen offen und lassen ästhetische Dimensionen erkennen.

Werkkategorien – Die Werke gehören zu verschiedenen Kategorien, die sich durch die Art ihrer Entstehung unterscheiden. Ob gezielt geschaffene Assemblagen, wirkmächtige Objekte, potenzierende Kombinationen, vor dem Verfall bewahrte Alltagsgegenstände, dem Zerfall überlassene Dinge und Bruchstücke von Zerstörung − ihnen allen ist gemeinsam, dass sie gleichzeitig Fragmente von Geschichten und der Geschichte sind.

Kontexte und Perspektiven – Stückwerke verweisen auf die Wiederherstellung oder Erzeugung von Ordnungen. Sie zeigen, wie mit oder durch materielle Dinge gehandelt wird, sie können Kraft und Macht verleihen oder entziehen, sie erheischen Sorgfalt und Pflege und zuweilen müssen sie – aus welchen Gründen auch immer – ausgesondert werden. Je nach Perspektive zeigen sich die Prozesse der Fragmentierung anders: Ein Blickwinkel von Herkunftsgesellschaften unterscheidet sich mitunter fundamental von einem wissenschaftlichen; eine ökonomische Dynamik zeitigt ein anderes Vorgehen als eine von ethischen Prinzipien geleitete. Schliesslich steht zur Debatte, inwiefern Museen an der Fragmentierung von Werken beteiligt sind oder diese gar verursacht haben.

Qualitäten – Alle gezeigten Stückwerke verfügen über poetische und ästhetische Qualitäten. Jedes einzelne steht für sich selbst, ist aber zugleich auch Beleg für den kulturspezifischen Einsatz verschiedener Materialien, ihrer Kombinationen und Wirkungen. In Bruchstücken, Splittern, Partikeln oder Fragmenten schlummert das Potenzial, Unterdrücktes zu artikulieren, Abweichendes ins Zentrum zu rücken oder neue Perspektiven auf Ereignisse oder das ganze Leben zu eröffnen. Gerade auch für ethnologische Museen sollte gelten, sich mit Teilen, Fragmenten oder Splittern – also Stückwerken auseinanderzusetzen, um sich einer zersplitterten Welt stellen zu können.

 

 

Rindenbast eines Linden- oder Ahornbaums, getrocknetes Seegras, schwarzer Seetang und jede Menge Binsen werden mit Schnüren aus Reisstroh zusammengehalten. Diese Elemente sind einzeln wenig spektakulär. Erst ihre Kombination, der Farbverlauf und die sorgfältige Arbeit transformieren sie zu einer eindrucksvollen Assemblage: zu einem japanischen Regenumhang mino. Dieses Werk aus Stücken ist ein Gebrauchsgegenstand. Lange wurde er zum Schutz vor Regen und Schnee getragen: über der Samurai-Rüstung genauso wie auf Reisen, bei Arbeiten auf dem Feld oder anderen Verrichtungen im täglichen Leben.

Einige Figuren im klassischen japanischen Theater tragen einen mino, wie auch Männer, die sich im Norden der Insel Honshu damit verkleiden, um zum Jahreswechsel durch die Strassen zu ziehen. Neuerdings ist das mino in der Cosplay-Szene populär, in der sich Menschen in Charaktere aus Mangas und Animes verwandeln.

Ein mino ist gleichermassen ein einzelnes Objekt und ein Ensemble; seine Herstellung bezeugt handwerkliches Können wie auch ästhetische Praxis. Bereits im 17. Jahrhundert inspirierte der Umhang den japanischen Dichter Matsuo Bashô (1644-1694):

Der erste Winterschauer –
Ein Strohmäntelchen wünscht sich
auch der kleine Affe!

  1. Regencape mino; Präfektur Akita, Japan; 20. Jh.; Binsen, Rindenbast, Seegras, Reisstroh, Pflanzenfasermaterial; Noemi Speiser, Kauf 1971, IId 8128

 

Wallen Mapondera verbindet in seiner Arbeit nationale und internationale Ereignisse mit persönlichen Erfahrungen. Dazu entwickelte er eine radikale abstrakte Sprache unter Verwendung von Fragmenten und Fundstücken: von Verpackungen (etwa von Nahrungs-
mitteln wie in Tribal Print) und Pappkartons über zerrissene Zeltplanen und ausrangierte Bretter bis zu Eierschalen. Sein Interesse gilt der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit
von Bedeutungen und Werten, wie diese Materialien sie verkörpern. Dabei konzentriert
er sich auf Transformationsmöglichkeiten, die den Materialien inhärent sind.

2. a Tribal Print
Wallen Mapondera, 2017
Karton, Faden, Mischtechnik
Courtesy of SMAC Gallery, © Wallen Mapondera

 

Die Arbeit Open Secret mit der klaffend roten Wunde kommentiert die Zerbrechlichkeit von Dingen und Lebewesen gleichermassen. Mit diesem Werk klagt Mapondera die Korruption des simbabwischen Staats an.

2. b Open Secret
Wallen Mapondera, 2020
Karton, Wachspapier, Baumwolle, gewachste Fäden auf Leinwand
Courtesy of SMAC Gallery, © Wallen Mapondera

 

Ästhetik des Verbundenen

Alle Stücke dieser Station sind aus Teilen zusammengesetzt. Mal wurden Reste oder Flicken, mal eigens dafür produzierte Gewebe verarbeitet. Stickereien, Troddeln, Spiegel, Kauri-
schnecken, Kardamomkapseln und anderes verleihen diesen Assemblagen zusätzliche Dimensionen. Jedes Werk zeugt von Produktionsprozessen, die Planung und Zufall,
Können und Leidenschaft, Fantasie und Kreativität im Umgang mit textilen Materialien
und Applikationen einschliessen.

Neues Schaffen – War das Zusammenfügen von Stoffresten zunächst wohl vor allem der Ressourcenknappheit geschuldet, entwickelte sich daraus an vielen Orten eine veritable Kunst. Dabei wird nach dem Prinzip der Bricolage – ‹Basteln› mit Fund- und Versatz-
stücken – durch die Verbindung von Geplantem mit Zufälligem etwas Neues geschaffen.

Produktion und Verwendung – In jedem dieser Werke steckt Zusammenarbeit und in jedem Gebrauch auch das Vorführen einer gesellschaftlichen Position. Durch kollekti-
ves Arbeiten an einem Stück wird Gemeinschaft erzeugt oder gestärkt. Die Textilien
können Reichtum, Status und Prestige, religiöse Zugehörigkeit oder politische Haltung anzeigen. Manche waren Bestandteil von Tauschbeziehungen, andere gehörten zur
Mitgift, einige repräsentieren ein Weltbild, andere eine individuelle Persönlichkeit.

Durch Anordnung der Fragmente nach Farben, Mustern, Texturen und Materialien entstehen Assemblagen von grosser stilistischer Vielfalt und Ausdruckskraft.

Ästhetische Qualitäten – Die Stücke fordern dazu auf, Wertvorstellungen – wie etwa Schönheit – zu hinterfragen und die ihnen eigene ästhetische Kraft anzuerkennen. Die Verbindung von verschiedenen Materialien und Techniken erzielt immer wieder aufs
Neue überraschende Ergebnisse: Werke mögen sich gleichen, sie sind aber nie iden-
tisch; jedes Werk ist ein Unikat.

Hemdsärmel, Rocksäume und Bordüren bulgarischer Trachten sind oft reich bestickt. Es sind diese aufwendig gearbeiteten Verzierungen, die ein Hemd oder eine Jacke zu einem besonders kostbaren Stück machen. Hier wurden wohl solche Teile von ausrangierter Kleidung zu einem Teppich zusammengefügt. An einigen Stellen ist die rote Naht deut-
lich sichtbar. Durch die alternierende Anordnung ähnlicher Elemente entsteht ein
Rhythmus, der dem gesamten Teppich ein eigenes Muster verleiht.

  1. Teppich; Bulgarien; 19. Jh.; Leinen, Wollgarn; Nachlass Victor Rilliet, August Waldburger, Kauf 1918, VI 8066


Patchwork-Quilts stehen für die USA als Schmelztiegel von Einwandernden. Beim Quilten oder Steppen werden die Oberseite, die Füllung und die Unterseite – also drei Schichten – zusammengenäht, so dass sich Kammern bilden und die Füllung nicht verrutschen kann.
Die Oberfläche besteht aus Stoffstücken, die zu einem geometrischen Muster zusammen-
genäht werden. Die optische Illusion der gestapelten Würfel entsteht durch die Stoff-
rauten in hellen, mittleren und dunklen Tönen. Bei Zusammenkünften, den Quilting Bees oder Quilting Frolics, trafen sich Frauen, um an einem Stück ihres eigenen oder einem gemeinsamen Patchwork-Quilt zu arbeiten und sich dabei auszutauschen.

  1. Patchwork-Quilt Baby Block, Tumbling Block; USA; ohne Datierung; Baumwolltoile, Baumwollstopfwatte; Schule für Gestaltung Basel, Geschenk 2016, GM 1985.3758

 

Die Herstellung von Patchwork-Arbeiten aus kleinen Stoffstücken hatte Vorteile. Aus kleinsten Fragmenten und gebrauchten Kleidungsstücken konnte Neues geschaffen
werden. Man traf sich, um gemeinsam an Einheiten eines grösseren Stücks zu arbei-
ten. Später wurden die Einheiten zusammengenäht. Die hier schuppenartig angeord-
neten bedruckten Baumwollstoffe mit Motiven aus Asien waren in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts unter der Bezeichnung Indiennes verbreitet.

  1. Patchwork-Stück Top; USA; Textildrucke: Ende 19. Jh.; Baumwolle; Joan Kessler, New York, Geschenk 1981, VI 55517

 

Der Ort Panajachel am Atitlan-See in Guatemala wurde in der zweiten Hälfte des 20. Jahr-
hunderts zu einem Anziehungspunkt für Tourist*innen und Aussteiger*innen. Für den wachsenden Touristenmarkt wurden Produkte wie Rucksäcke oder Kleidungsstücke entwickelt und neue Techniken wie Patchwork-Arbeiten eingeführt. Für diese wurden Stoffreste oder ausrangierte Textilien verschiedener lokaler Maya-Webtraditionen verwendet.

  1. Teil einer Schürze; Panajachel, Guatemala; ca. 1974; Baumwolle; Thomas Meyer, Kauf 1974, VI 42854

 

Der Quilt ralli diente als Decke, Bettüberwurf oder Wandschmuck. Er besteht aus mehreren Schichten Baumwollstoff, die in parallelen Linien mit Vorstichen zusammengesteppt wur-
den. Quilten ist in Südasien eine Gemeinschaft stiftende Tätigkeit, zu der weibliche Verwandte und Freundinnen eingeladen werden. Stoffe und Stoffreste spiegeln den familiären und wirtschaftlichen Hintergrund der Frauen. Die Besonderheit dieses ralli
sind die symmetrisch angeordneten, gespiegelten Motive: Die Frauen falten die oberste Stoffschicht und schneiden sie ein, um das Muster zu erzeugen.

  1. Quilt ralli; Sindh, Pakistan; vor 1975; Baumwolle, synthetische Farbstoffe, Spiegel; Slg. Georges Gogol, Kauf 1975, IIa 6324

 

Der Mönchsumhang kesa ist ein rechteckiges Tuch, das aus Stoffstücken zusammengenäht wurde. Das Flickengewand ist Ausdruck der Besitzlosigkeit von Mönchen und Nonnen. In Japan werden buddhistischen Klöstern kostbare Stoffe gestiftet und zu kesa umgearbeitet.

Das Muster dieses kesa ist nur teilweise erhalten: Die dunkel gefärbten Seidenfäden sind aufgrund der verwendeten Eisenoxid-Beize zum Teil zerfallen, die anderen Farben sind verblasst. Die eingewobenen versilberten Papierstreifen haben sich durch Oxidation
dunkel verfärbt.

  1. Mönchsumhang kesa; Japan; Ende 18./Anfang 19. Jh.; Seidenbrokat, Seide; Slg. Marianne Gilbert Finnegans, Geschenk 1976, vermittelt durch Eberhard Fischer, IId 8628

 

An europäischen Fasnachts- und Karnevalstraditionen treten verschiedene Figuren auf, deren Kostüme aus Stoffresten oder Flicken hergestellt sind. Dieses Kostüm wurde für
die Basler Fasnacht genäht. Anstelle von Resten wurden Stoffmuster verwendet – sie
dienen dazu, Farben und Muster von angebotenen Stoffen in handlicher Grösse vorzu-
führen. Eine weitere Verwendung war für die Stoffmuster nicht vorgesehen. Indem sie
hier zu einem Kostüm verarbeitet wurden, hatten sie ihren letzten Einsatz.

  1. Fasnachtskostüm; Basel, Schweiz; ca. 1980; Textil, Papier; Peter Hanauer, Geschenk aus Nachlass 1998, VI 69262

 

Im Frühjahr wurden in Gemeinden des Bernischen Seelands grosse, geschmückte Eichenstämme durchs Dorf gezogen. Verschiedene Figuren begleiteten die sogenannte Trämelfuhr, darunter der Plätzlimaa. Sein Kostüm setzt sich aus unzähligen rechteckigen Stoffstücken zusammen, die auf einen zweiteiligen Anzug genäht wurden. Der Zickzack-Zuschnitt, der ein Ausfransen des Stoffes verhindert, sowie die ähnliche Grösse der Stücke lässt vermuten, dass die Plätzli eigens für diesen Zweck hergestellt wurden.

  1. Kittel und Hose einer Plätzlimaa-Figur; Kallnach, Bern, Schweiz; 1950; Baumwolle, Papier; Fritz Marti, Kauf 1952, VI 19816.01-02


Die Herstellung und Verarbeitung von Textilien oblag in vielen afrikanischen Gesellschaften den Männern. Dieses Tuch hingegen wurde vermutlich von Mädchen in einer Missionsschule hergestellt. Es besteht aus 163 rechteckigen Stücken industrieller Baumwollstoffe, die in Europa hergestellt wurden. Es zeigt eine bewusst gestaltete Komposition durch verschiedene längslaufende Bahnen. Papieretiketten verweisen auf die Verwendung von Resten verschiedener Stoffmuster. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein Tuch, mit dem junge Frauen das Nähen erlernten.

  1. Patchwork-Tuch; Ghana; vor 1981; Baumwolle, Papier; Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, III 26484

 

Die praktische Fertigkeit des Nähens lernten Mädchen in Ghana und Kamerun von den Frauen der Missionare. Der nachmittägliche Nähunterricht auf der Veranda des Missionshauses sollte den Mädchen Arbeitsdisziplin und Pflichtbewusstsein beibringen. Gleichzeitig wurde ihnen über biblische Geschichten, Lieder und Sprüche das Evangelium vermittelt. Der Verkauf der Handarbeiten brachte zudem einen kleinen Zusatzverdienst für die Mädchen − sofern er nicht in die Kasse der Mission floss.

  1. Mädchenkleid; Ghana oder Kamerun; vor 1981; Baumwolle, Papier; Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, III 26380

 

In vielen Teilen West- und Nordafrikas galten Patchwork-Roben als Symbol von Macht, Prestige und Würde. Die in Europa bedruckten Baumwollstoffe dieses Kleides imitieren Motive afrikanischer Gewebe wie kente und Batik. Das Kleid wurde von Mädchen im Missionsunterricht aus verschiedenen Stoffstücken zusammengenäht. Mit dieser Technik erlernten sie nicht nur das Nähen, sondern auch, wie man Stoffreste ökonomisch weiterverwendet und aus Altem Neues herstellt.

  1. Mädchenkleid; Ghana oder Kamerun; vor 1981; Baumwolle, Papier, Metall; Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, III 26479

 

Gruppen der Kuba sind bekannt für die Feinheit ihrer Raphiagewebe. Die Stoffe wurden in mehreren Schritten der Zusammenarbeit hergestellt: Jungen schnitten das Rohmaterial, Männer webten die Tücher, und Frauen versahen sie mit komplexen geometrischen
Mustern aus Schnittflor oder Stoffapplikationen. Dieses Umschlagtuch zählte zu den Kleidungsstücken für rangniedrige Frauen und wurde bei zeremoniellen Anlässen und Tänzen getragen.

  1. Umschlagtuch ntshak; Kinshasa, Demokratische Republik Kongo; 20. Jh.; Raphia, Applikationen; Slg. Dieter und Marianne Pfaff-Weber, Kauf 1986, III 23807

 

Die Applikationen des Frauenkleides jumlo spiegeln die zahlreichen Einflüsse, die die Region Kohistan durch Handelsverbindungen und Pilgerströme prägten. Das Gebiet gehörte zu dem weitverzweigten Netzwerk der alten Seidenstrasse. jumlos sind für ihre Stickereien und Applikationen an Ärmeln, Brusteinsätzen und Röcken bekannt. Die Applikationen aus Metallknöpfen und Münzen klirren bei jeder Bewegung; diese Geräusche sollen alles Schlechte abhalten.

  1. Frauenkleid jumlo; Kohistan, Pakistan; 20. Jh. (nach 1947); Baumwolle, Glasperlen, Knöpfe, Münzen, Metallplättchen, Silber, Messing, Aluminium, Kunststoff; Slg. Alfred Bühler Kauf 1974, IIa 5914

 

Die Frauenbluse cholo wurde für festliche Anlässe angefertigt. Die individuelle Komposition aus geometrischen Mustern, Tier- und Pflanzenmotiven, applizierten Spiegeln, Seidenquasten und Kardamomkapseln fügt sich zu einem unverwechselbaren Kleidungsstück zusammen. Farben, Formen und Motive geben Auskunft über Familienstand, Anzahl der Kinder, Herkunft und Familienzugehörigkeit der Trägerin. Kombination und Positionierung der Applikationen bilden die soziale Identität und den Status der Trägerin innerhalb ihrer Gruppe ab.

  1. Frauenbluse cholo; Sindh, Pakistan; vor 1972; Baumwolle, Seide, Spiegel, Kardamom, synthetische Farben; Slg. Georges Gogol, Geschenk der Firma Sandoz AG 1972, IIa 5463

 

Die Muster von Ainu-Gewändern aus dem Rindenbast der Ulme, die heute vor allem zu kulturellen und zeremoniellen Anlässen getragen werden, unterscheiden sich je nach Verwandtschaftsgruppe. Die Motive sind verinnerlicht, sodass in der Vorstellung der Ainu bei der Anfertigung das Herz, und nicht der Kopf die Hand führt. Die für die Applikationen verwendeten gefärbten Baumwollstoffe sind Importe aus Japan und westlichen Ländern. Da sie bis ins 20. Jahrhundert hinein kostbar waren, wurden sie
nur sparsam verwendet.

  1. Mantel attush; Hokkaido, Japan; Mitte 19. Jh.; Ulmenbastfaser, Baumwolle, Indigo;
    Slg. Jaap Langewis, Kauf 1964, IId 6556

 

Basis dieses Gewandes ist ein ‹ainuisierter› japanischer Kimono: Die Form der Ärmel wurde angepasst, der Stoff mit applizierten Mustern versehen und bestickt. Die Baumwollbänder werden in Form von charakteristischen Wirbeln und Spiralen appliziert. Das Dornen- oder Stachelmotiv wird mit Stielstich direkt auf den Stoff gestickt und verleiht dem Muster zusätzliche Tiefe.

  1. Gewand der Ainu kaparamip oder ruunpe; Hokkaido, Japan; 19. Jh.; Baumwolle, Farbstoffe;
    Slg. W. Koller, Kauf 1910, IId 627

 

Die Innenseite des Mantels verrät, dass er aus vielen Lagen Baumwollstoff besteht und immer wieder ausgebessert wurde. Diese Art von geflickten Textilien wird boro genannt. Sie waren vom 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts in ländlichen Regionen im Norden Japans gebräuchlich. Überwiegend blaue Stoffreste wurden mit der Sticktechnik sashiko, einem in parallelen Linien über den Stoff laufenden Vorstich, zusammengefügt. So entstanden gleichzeitig Muster, die die geflickte Kleidung optisch aufwerteten. Praktischer Nebeneffekt: Die Stoffe wurden dicker, fester und wärmer – ein Vorteil in der kalten Jahreszeit.

  1. Mantel hanten; Honshu, Japan; Ende 19./Anfang 20. Jh.; Baumwolle, Indigo; Slg. Jaap Langewis, Kauf 1962, IId 6062

 

Die jibba wurde während der Mahdistenkriege (1881−1899) gegen die ägyptisch-britische Kolonialherrschaft zu einem Zeichen des Widerstands. Der sudanesische Anführer Muhammad Ahmad ordnete an, dass seine Anhänger die jibba als Zeichen ihrer religiösen und politischen Überzeugung tragen sollten. Dienten die Flicken zunächst der Ausbesserung von schadhaften Stellen, entwickelten sich daraus Rangabzeichen der Armee. Die niedrigeren Ränge trugen Gewänder mit Flicken aus zwei Farben, die der höheren Ränge waren bunter besetzt.

  1. jibba; Sudan; Ende 19. Jh.; Baumwolle, Wolle; Slg. Ludwig Keimer, Stiftung C.L. Burckhardt-Reinhart, Geschenk 1956, III 14658

 

Die Illanun sind eine Gemeinschaft, die ursprünglich aus dem Golf von Illana auf Mindanao (Philippinen) stammt. Heute leben sie sowohl auf Mindanao wie auch in Sabah (Malaysia) und dem Sulu Archipel. Lange Zeit waren sie im Seehandel tätig und als Krieger und Piraten gefürchtet. Zu ihren wichtigsten Handelsgütern gehörten Textilien aus Indien und China. In der Jacke sind Elemente aus nah und fern zu einem Vorzeigekleidungsstück junger Männer kombiniert: Blauer und roter Importbaumwollstoff, lokales Ikatgewebe und Pailletten verweisen auf die ehemals ausgedehnten Handelsnetzwerke.

  1. Jacke für junge Männer; Illanun, Sabah, Malaysia; vor 1943; Baumwolle, Pailletten; Sammler Mattheus Vischer, Geschenk von Hans E. Moppert 1980, IIc 18691

 

Die Frauenblusen aus Sulawesi sind aus geklopftem und schwarz gefärbtem Rindenbaststoff fuya hergestellt. Kleidungsstücke aus fuya sind einfacher in der Herstellung als Baumwollkleidung. Allerdings vertragen sie Wasser schlecht und haben nur eine kurze Lebensdauer. Während die Herstellung von fuya in einigen Regionen zum Erliegen kam, wird sie andernorts weiterhin praktiziert. Solche Kleidungsstücke werden heute vorwiegend zu zeremoniellen Anlässen getragen. Auch wenn Ausgangsmaterial und Form solcher Blusen ähnlich sind, verzierten sie die ethnischen Gruppen der Region nach eigenen ästhetischen Vorstellungen: Der Bluse aus dem Palu-Tal wurden unter den Ärmeln zwei Spickel aus rotem, industriellem Baumwollstoff appliziert, und der Körperbereich weist Linien weisser Bemalung auf sowie regelmässig angebrachte Stückchen Silberpapier.

  1. Frauenbluse; Kantewo, Palu-Tal, Zentral-Sulawesi, Indonesien; vor 1953; Rindenbaststoff, Farbe, Silberpapier; Paul Schudel, Geschenk 1953, IIc 14568

 

Die Bluse aus der Region des Posso-Sees hat etwas grössere rote Baumwollspickel und einen Kragen aus identischer Baumwolle, der zusätzlich mit weisser und orangegelber Zickzack-
stickerei und gleichfarbigen Quasten verziert ist.

  1. Frauenbluse; To Pebato, Labungea, Distrikt Poso, Zentral-Sulawesi, Indonesien; vor 1895; Rindenbaststoff, Baumwolle, Farbe, Schnur, Palmblatt; Slg. Paul und Fritz Sarasin, Geschenk 1904, IIc 464

 

Die Guna in Panama und Kolumbien bezeichnen rechteckige Textilstücke als mola (Pl. mola-gana). Die Produzentinnen eines mola nähen mehrere rechteckige farbige Baumwollstoffe übereinander. Anschliessend werden die wichtigsten Gestaltungselemente auf das Textil gezeichnet und die Motive aus der oberen Schicht herausgeschnitten, sodass die darunterliegende Textilschicht sichtbar wird. Neben diesem Reversappliqué verwenden die Herstellerinnen das traditionelle Appliqué, indem sie zugeschnittene Motive aus Stoffresten auf die anderen Textilschichten aufnähen. Für Schulterpartien und Ärmel der mola-Blusen werden meist industriell gefertigte und bedruckte Stoffstücke verwendet.

  1. mola-Bluse, Guna, Ustupu, Gunayala, Panama; 1963; Baumwolle; Slg. Adolf Richard Herrmann, Kauf 1964, IVb 3858


Das mola gilt heute als materieller Ausdruck der Identität der Guna schlechthin. Es ist jedoch eine Kreation von Guna-Frauen aus dem späten 19. Jahrhundert. Über den Kontakt mit Missionaren kamen damals neue Moralvorstellungen wie die Bedeckung des Oberkörpers zu den Guna. Die Frauen übertrugen die Körperbemalung auf die Kleidung als eine Art zusätzliche Hautschicht. Bereits 1918 hatten molagana eine so grosse Bedeutung für die Guna, dass der panamaische Staat das Tragen der mola-Blusen verbot. Die staatlichen Assimilierungsversuche scheiterten 1925 mit der Revolution der Guna. 1938 wurde ein autonomes Gebiet geschaffen, das von den Guna selbst verwaltet wird. Ab den 1960er-Jahren wurde der Verkauf von molagana und mola-Blusen an Touristen und Museen eine wichtige Einkommensquelle. Seitdem werden auch Nähmaschinen verwendet.

  1. mola-Bluse, Guna, Ustupu, Gunayala, Panama; 1963; Baumwolle; Slg. Adolf Richard Herrmann, Kauf 1964, IVb 3852

 

Guna assoziieren mola-Muster und -Blusen mit der Schaffung von Körpern, der menschlichen Reproduktion, Schönheit und Gesellschaftsordnung. Die Fruchtblase eines Fötus verstehen sie als erstes mola, das von weiblichen Wesen in der unsichtbaren Welt genäht wurde. Bei der Geburt interpretieren Hebammen die Muster der Eihaut, die Informationen über Fertigkeiten und Eigenschaften des Neugeborenen enthalten. Im übertragenen Sinn steht das Nähen eines mola mit der Hand für die ruhige Lebensführung der Frauen und das friedliche Zusammenleben der Familie und Guna-Gemeinschaft.

  1. mola-Bluse; Guna, Ustupu, Gunayala, Panama; 1963; Baumwolle; Slg. Adolf Richard Herrmann, Kauf 1964, IVb 3870

 

Der Schal aus drei Webbahnen weist in der Mittelfläche 70 rote Rechtecke auf. Über die ganze Fläche sind 24 Kreise aus Gehäusen der Kaurischnecke appliziert. Der fast 100-jährige Schal gehörte Toshi Wungtung, dem kürzlich verstorbenen Ethnologen und Parlamentsabgeordneten Nagalands. Sein Grossvater erwarb das Privileg, den Schal zu tragen, nachdem er sich als erfolgreicher Krieger bewiesen hatte. Als er und seine Frau auch Verdienstfeste abgehalten hatten, durften die Schneckengehäuse appliziert werden: ein Zeichen für Personen und Familien von hohem Status und Wohlstand.

  1. Umhangtuch/Schal rehükhim; Yimchungrü-Naga, Dorf Sangpurr, Distrikt Tuensang, Nagaland, Indien; um 1930; Baumwolle, Kettreps, broschierte Ziereinträge, Gehäuse der Kaurischnecke; Shri Toshi Wungtung, Geschenk 2006, IIb 3993

Kraft des Kombinierten

Um Dingen Kraft zu verleihen, werden in vielen Kulturen Substanzen und Materialien aus unterschiedlichen Bereichen zusammengefügt. Aus für sich genommen belanglosen
Teilen entstehen so wirkmächtige Kombinationen. Je nach Einsatz der Stücke und nach kulturellen Vorstellungen bedarf es darüber hinaus bestimmter Praktiken, um die Kraft
eines solchen Objekts zu aktivieren.

Grundlagen – Voraussetzung für die Produktion eines wirkmächtigen Werkes aus Stücken ist eine Grundstruktur: ein Gewand, eine Statue, ein Korb, eine Unterlage aus Holz oder Pappkarton. Auf oder in der Grundstruktur werden Dinge versammelt oder appliziert, die den späteren Einsatz prägen und das gewünschte Resultat entscheidend beeinflussen können.

Kraftzuwachs – Ein wirkmächtiges Stück wird selten in einem einzigen Produktionsprozess geschaffen. Vielmehr fliessen Wissenszuwachs, persönliche Erfahrung, Anerkennung für Geleistetes und spirituelle Versenkung in eine fortwährende Ergänzung des Ensembles ein.
Es kommt vor, dass ein solches Ding an eine einzige Person gebunden und somit erst mit deren Tod vollendet ist. Dagegen sind andere Stücke nicht personengebunden, werden vererbt und können (theoretisch) endlos mit weiteren Elementen ergänzt werden. Mit
jedem zusätzlichen Element steigt die Kraft des Gesamten.

Aktivierung – Ein aus Teilen kombiniertes Werk wird oft erst dann wirkmächtig, wenn es aktiviert wird. Dazu braucht es meistens einen Spezialisten, der mit der Kraft umgehen
und sie kanalisieren kann. Durch das Einschlagen eines Nagels, Auffüllen eines Medizintäschchens, Anbringen einer metallenen Feder nimmt er die kombinatorische Erweiterung vor oder beaufsichtigt sie zumindest. Damit gehen in der Regel rituelle Handlungen an oder mit dem Objekt einher.

 

egungun bezeichnet eine ‹Maskerade› und damit verbundene Rituale. Bis heute finden sie bei Yoruba-sprechenden Gruppen zu Ehren der Ahnen statt, um sich ihrer Unterstützung
zu versichern. Die Ensembles werden jedes Jahr mit wertvollen Stoffen und Applikationen ergänzt. Für das Design gelten höchste ästhetische Massstäbe; je vielfältiger die Herkunft und Anordnung
der Materialien, umso imposanter der Auftritt und umso mächtiger der Ahne, dessen Kraft
in den tanzenden Bewegungen zum Ausdruck kommt.

  1. egungun-Maskerade; Yoruba, Republik Benin; vor 2001; Holz, Farbe, Stahl, Baumwolle, Wolle, Samt, Plüsch, Kunstfasern, Polyurethanschaum, Fell, Gehäuse der Kaurischnecke, Kunststoff-, Glasperlen, Pailletten; Slg. David Mensah, Kauf 2001, III 27401.01-05

 

Schaman*innen der Sacha bezwingen Krankheiten, holen ‹verirrte› Seelen zurück, helfen bei wirtschaftlichen Unternehmungen und sagen künftige Ereignisse voraus. Dazu benötigen sie die Hilfe von Geistwesen, die in den Applikationen des Gewands bis ins 20. Jahrhundert als präsent gedacht wurden.

Diese metallenen Gegenstände übertrugen ihre Kraft auf die schamanische Persönlichkeit, sobald sie sich damit bekleidete. Im Laufe einer Karriere kamen metallene Gegenstände hinzu, wenn ein*e Schaman*in weitere Geistwesen in Dienst nehmen konnte. Die Anzahl
der Anhänge korrelierte also mit der schamanischen Macht.

  1. Schamanisches Gewand; Sacha (Jakuten), Republik Sacha der Russischen Föderation; vor 1913; Fell, Leder, Eisenlegierung, Kupferlegierung, Pflanzenfasern; vmtl. gesammelt von Nikolas Wassiljew, einem Mitarbeiter des Museums von Kaiser Alexander III.; Slg. Eugen Alexander, Kauf 1922, VII 597

 

In ganz Westafrika gibt es Jägervereinigungen. Die darin organisierten Männer betreiben Jagd und sorgen für Nahrung. Sie verfügen ausserdem über medizinisches Wissen und spirituelle Kräfte, erheischen Respekt und geniessen gesellschaftliches Ansehen. Dazu tragen ihre ethischen Grundsätze bei: nicht lügen, nicht stehlen, nicht betrügen, die Gemeinschaft schützen, die Jägervereinigung respektieren und unterstützen.
Die Fertigkeiten eines Jägers, seine Erfolge und seine Wirkung in der Gesellschaft sind an den Applikationen seines Hemdes ablesbar.

  1. Jägerhemd; Senufo, Côte d’Ivoire; vor 1965; Baumwolle, Farbe, Leder, Tierzähne, weitere tierische und pflanzliche Materialien; Slg. René David, Kauf 1965, III 16841b

 

Bei seiner Initiation in den Wald lernt ein Jäger die Tier- und Pflanzenwelt, ihre Bestandteile und Wirkungen kennen. Er erfährt, wie aus organischen Materialien wirkmächtige Stoffe gewonnen werden können und wie damit umzugehen ist, um zu heilen oder zu schaden. Er schärft seinen Orientierungssinn, beobachtet das Verhalten seiner Beute und lernt, Gefahren zu meiden. Je mehr Erfahrung ein Jäger vorweisen kann, umso mehr ‹füllt› sich sein Hemd.

  1. Jägerhemd; Man, Côte d'Ivoire; vor 1933; Baumwolle, Leder, Fell, Federn, Tierhaut, -knochen, Krallen; Slg. Paul Wirz, Kauf 1933, III 8035

 

In den letzten Jahrzehnten übernahmen Jägervereinigungen neue Funktionen. Sie engagierten sich in zivilgesellschaftlichen Feldern oder sicherten in staatlichem Auftrag Landesgrenzen. Jäger griffen aber auch aktiv in politische Auseinandersetzungen ein und beanspruchten mitunter eine zentrale Position in der staatlichen Ordnung.

  1. Jägerhemd; Togo; vor 1913; Baumwolle, Gehäuse der Kaurischnecke, Kalebasse, Schlangenhaut, Federn, Pflanzenfasern; Slg. Julius August Konietzko, Kauf 1913, III 4094

 

Eine vorübergehende Schwächung der Jägervereinigungen ging mit der kolonialen Eroberung und missionarischen Durchdringung westafrikanischer Gebiete im 19. Jahrhundert einher. Als Folge wurden die Hemden weit weniger mit Amuletten, Medizintäschchen und tierischen Fragmenten behängt. Der Besitzer dieses Jägerhemds soll laut Missionar Andreas Bauer Christ geworden sein.

  1. Jägerhemd; Asante, Ghana; vor 1906; Baumwolle, Kupferlegierung, Leder, weitere tierische und pflanzliche Materialien; gesammelt von Missionar Andreas Bauer, Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, III 26439

 

Die Hemden der Jäger unterscheiden sich in Herstellungstechniken, Schnitten, Farbgebung, Gebrauchsspuren und in den Applikationen. Die Applikationen bestechen durch ihre Viel-
falt: Neben tierischen Trophäen wie Hörnern, Krallen, Knochen fallen die mit Haut, Fell
oder Leder überzogenen Amulette auf, die wirkmächtige und schützende Substanzen enthalten.

  1. Jägerhemd; Kamerun; vor 1952; Baumwolle, Leder, Antilopenhorn, Tierhaut, -knochen, Metall; Lorenz Eckert, Tausch 1952, III 11965

 

In Mali engagierten sich Jäger ab den 1990er-Jahren in Entwicklungsprojekten. Sie werden aber auch mit paramilitärischen Aktionen in Verbindung gebracht und als notorische Unruhestifter charakterisiert, weswegen sie bei vielen gefürchtet sind.

Jägerhemden zeichnen sich mitunter durch lose Kordeln oder Fäden mit Knoten aus. Dabei soll es sich um verschlüsselte Beschwörungsformeln handeln: Wenn bei der Herstellung die Kordeln oder Knoten bespuckt werden, nehmen sie die Kraft des Speichels auf und fangen ihn ein.

  1. Jägerhemd; Dogon, Bamako, Mali; vor 1973; Baumwolle, Metallblech; Slg. Renée Boser-Sarivaxévanis & Bernhard Gardi, Kauf 1974, III 20694

 

Bei öffentlichen Auftritten der Jägervereinigungen – Paraden, Begräbnisse, Rituale mit Opferhandlungen, um Gefahren wie Schlangenbisse oder Angriffe von Grosswild abzuwenden – bieten Musiker Preisgesänge zu den Klängen der Stegharfe und des Balafons dar. Diese Musiker spielen ausschliesslich für Jäger. Auch sie tragen Hemden, die mit Amuletten und Hinweisen auf Kenntnisse des Waldes bedeckt sind, sich jedoch
in Schnitt und Design von jenen der Jäger unterscheiden.

  1. Hemd (vmtl.) eines Musikers; Bamana, Mali; vor 1969; Baumwolle, Leopardenfell, Gehäuse der Kaurischnecke, Leder, Borsten, Federn, weitere tierische Materialien; L. Doumbia, Kauf 1969,
    III 18076

 

Ob es sich bei diesem Fragment, dem europäischen Tuch mit arabischen Schriftzeichen
und ledernen Amuletten, tatsächlich um einen Teil eines Jägerhemdes handelt, wie von Missionar Bauer behauptet, ist fraglich. Schützende Amulette wurden auch auf andere Kleidungsstücke appliziert.

  1. Fragment eines Jägerhemdes (?); Ghana; vor 1909; Baumwolle, Tinte (?), Leder, weitere tierische und pflanzliche Materialien; gesammelt von Missionar Andreas Bauer, Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, III 26440

 

Kraftfiguren, minkisi, hatten viele Aufgaben: Sie wurden in der Strafverfolgung, Recht-
sprechung, bei Abkommen und in Kriegen eingesetzt. Sie konnten Wohlergehen und Fruchtbarkeit fördern, Krankheiten heilen, vor Unfällen schützen oder negative Einflüsse abwehren, aber auch schaden oder bestrafen. Je nach Einsatz – ob für einen Herrscher, eine Verwandtschaftsgruppe oder ein bestimmtes Ereignis – variierten Rituale, beteiligte Personen sowie Grösse und Ausstattung der Figur.

Körper- und Handhaltung dieser Figur signalisieren Herausforderung und Angriffsbereitschaft.

  1. Kraftfigur nkisi nkonde; Yombe, Demokratische Republik Kongo; vor 1908; Holz, Kaolin (?), Ocker, Metall, Harz, Tierzähne, Textil, Spiegel; Vorbesitzer Carl Hoppe, Leopold Rütimeyer, Geschenk 1909, III 2807

 

minkisi wurden mit Medizinen ausgestattet, die in die Behältnisse am Bauch, auf den Schultern oder dem Rücken eingebracht waren. Um wirksam zu sein, musste eine Figur von einem Spezialisten aktiviert, also mit Energien aus dem Reich der Toten und Ahnen aufgeladen werden. Jeder eingeschlagene Metallgegenstand sollte die Kraftfigur dazu bewegen, die gestellte Aufgabe zu ‹erledigen›.

Der nkisi nkondi (Jäger-nkisi) mit erhobener Faust zeigt Aggressionsbereitschaft, die bei der Strafverfolgung, der ‹Jagd auf den Täter› eingesetzt wurde.

  1. Kraftfigur nkisi nkonde; Demokratische Republik Kongo; 19. Jh.; Holz, Kaolin (?), Harz, Metall, Glas, Textil, Pflanzenfaser; Slg. Heinrich Umlauff, Kauf 1902, III 1391

 

Wirkte eine Figur nicht mehr, wurde sie aufgegeben. Dies war der Fall, wenn Regeln nicht eingehalten oder Elemente vom Objekt entfernt wurden.

Den meisten Kraftfiguren in Museen fehlt die ‹Medizin›, sie können also nicht mehr wirken. Warum bei dieser Figur alle Komponenten entfernt wurden, lässt sich nicht mehr sagen. Wurden die kostspieligen Nägel anderweitig benötigt? Kamen sie bei einer neuen Figur
zum Einsatz?

  1. Kraftfigur nkisi nkonde; Yombe, Demokratische Republik Kongo; vor 1912; Holz; Museum für Völkerkunde Hamburg, Tausch 1912, III 4019

 

Bei dieser Figur fallen die losen Stoffstreifen auf. Zwar sind viele Kraftfiguren mit Stoffen um den Hals, Kopf oder Körper ausgestattet. Sie sollten die Skulptur an eine lebende oder verstorbene Person ‹binden›. Dagegen sind lose Textilstreifen selten; wenn sie sich in der Luft bewegten, zeigten sie an, dass die Figur aktiv ist.

  1. Kraftfigur nkisi; Bakongo (?), Demokratische Republik Kongo; vor 1909; Holz, Textil, Pflanzenfaser, Federkiele, Metall, Harzmasse, Farbe, Glas; Vorbesitzer H. Salomon, Fritz Sarasin, Geschenk 1909, III 3024

 

Die Verwendung importierter und daher teurer Materialien wie Glas, Spiegel und Metall
bei den Kraftfiguren verweist auf die wachsende Bedeutung des Handels zwischen dem westafrikanischen Küstengebiet und Europa ab dem 18. Jahrhundert.

Trotz Kolonisierung und Missionierung blieben minkisi bis ins 20. Jahrhundert in Gebrauch.

  1. Kraftfigur nkisi; Katanga, Demokratische Republik Kongo; vor 1911; Holz, Harz, Kalk, Textil, Glas, Muschelschale, Metall, Pflanzenfaser; Slg. H. Salomon, Kauf 1911, III 3670

 

Obwohl Kolonialbeamte und Missionare den Einsatz der Kraftfiguren zu unterbinden such-
ten, nahm ihre lokale Bedeutung mit der Kolonisierung des Kongo-Gebietes gegen Ende
des 19. Jahrhunderts zu. Sie wurden eingesetzt, um den Zusammenhalt zu sichern, aber
auch um Widerstand zu leisten. Die Holzstöckchen stehen für die Abwehr negativer Kräfte.

Zuweilen sollen sich Kolonialbeamte selbst der Kraft und Macht eines nkisi bedient haben.

  1. Kraftfigur nkisi; Yombe, Demokratische Republik Kongo; vor 1909; Holz, Metall, Textil, Harzmasse, Pflanzenfaser, weitere pflanzliche Materialien; Vorbesitzer H. Salomon, Leopold Rütimeyer, Geschenk 1909, III 3025

 

Auch die Gruppe der Teke unterhält eine enge Verbindung mit ihren Ahnen, bei der Kraftfiguren Mittler sind. Bei diesen Figuren sind die wirkmächtigen Substanzen vermischt mit Lehm- oder Harzmasse auch auf den Rumpf aufgetragen. Der Ritualexperte verwendet beim Auftragen oft Dinge, auf denen Verstorbene ihre Spuren hinterlassen haben. Die Aktivierung einer Figur wird von einem Ritual begleitet, bei dem sie mit Flüssigkeiten besprengt wird, sodass auf ihrem Körper Schichten von Krusten entstehen. Je dicker die Kruste, umso häufiger wurde die Kraft der Figur in Anspruch genommen und so die ‹Flamme der Ahnen› am Leben erhalten.

  1. Kraftfigur biteki; Teke, Demokratische Republik Kongo; vor 1919; Holz, Raphia, Harzmasse, weitere pflanzliche Materialien, Glasperlen; Henri Gangloff, Kauf 1919, III 5078

 

Eine biteki-Figur nimmt wirkmächtige Substanzen in einer Öffnung an Rumpf oder Rücken auf, zusätzliche Materialien werden aussen an der Figur aufgetragen.

Diesem biteki sind drei kleine Figuren beigegeben: auf der rechten Seite zwei, die mit der Jagd in Verbindung stehen; auf der linken Seite ein alter Mann, übersät mit Schmucknarben und mit Messer und Flaschenkürbis ausgestattet. Die Figürchen sind mit Harzmasse an die zentrale Figur ‹angebunden› − womöglich um die Hauptfigur bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.

  1. Kraftfigur biteki; Teke, Umgebung von Mbé, Republik Kongo; vor 1931; Holz, Lehm-, Harzmasse, Gehäuse einer Kaurischnecke, Federn, Baumwolle, Farbe, pflanzliche Materialien; Slg. Stéphen-Charles Chauvet, Kauf 1931; III 7131

 

Sakpata ist die Gottheit der Krankheiten, vor allem der Pocken, und der Fruchtbarkeit. Sie wird bis heute gefürchtet und verehrt. Richtig eingesetzt sollte sie Krankheiten abwehren oder heilen. Die verschiedenen Behältnisse an der Figur enthalten die Substanzen, die zur Abwehr oder Behandlung eingesetzt wurden. Die Kaurischnecken markieren Stellen, an denen Pocken bei Patient*innen sichtbar waren. Schutz vor dieser Krankheit gewährten ausserdem Rituale und Opferungen, aber auch Immunisierung– etwa durch Narbentatauierung – und Isolierung der Patient*innen.

  1. Figur Sakpata; erworben in Soené, Togo, Herkunft Staat Benin; vor 1980; Holz, Textil, Gehäuse der Kaurischnecke, Tierknochen, Glas; Marianne Fiechter-Bischof, Geschenk 1983, III 23539

 

Bei der Gruppe der Fang gehörte die Aufbewahrung knöcherner Fragmente von Verstorbenen zur Ahnenverehrung. Diese byeri-Behältnisse standen gewöhnlich in einer dunklen Ecke des Hauses, nur für bestimmte Rituale wurden sie in den Wald getragen. Dort wurden die knöchernen Fragmente herausgenommen, gewaschen, geschmückt und mit dem Blut eines Opfertieres, Fleisch, Maniok, Bananen und Trinkwasser genährt. Damit erbaten die Lebenden die Unterstützung der Ahnen etwa bei Hausbau, Jagd, Ernte, Reisen oder Kriegszügen.

  1. Reliquiar byeri; Fang, Gabun; vor 1909; Rinde, Holz, Textil, Gehäuse der Kaurischnecke, Glasperlen, Kupferlegierung; Slg. Charles Hermann, Kauf 1909, III 2829

 

Zu jedem Reliquiar der Fang gehörte eine Wächterfigur. Wurde das Ensemble getrennt, verlor das byeri die für die Lebenden so wichtige Kraft. Die Missionierung mit ihrer ablehnenden Haltung gegenüber lokalen religiösen Praktiken veränderte die Ahnenverehrung. Als der Besitz eines Reliquiars problematisch wurde, gaben die Fang ihre byeri-Rituale auf. An ihre Stelle trat die Verehrung der Ahnen durch Gesänge, Musik,
Tänze und Ansprachen – ohne Reliquiare.

  1. Reliquiar byeri; Gabun; 19. Jh.; Rinde, Holz, Knochen, Nagel, Feder, Schlangenhaut, Bastgewebe, rotes Pulver; Slg. Charles Hermann, Geschenk 1905, III 2007

 

Dieses Arrangement wurde ohne Rahmen ins Museum eingeliefert. Die Knochenfragmente sind den Heiligen zugeschrieben, deren Namen auf roten Papierstreifen vermerkt sind. Sie sollen die Wunderkraft der Heiligen in sich tragen. Dieses Ensemble sollte einen Haushalt schützen – insbesondere «contra daemones et tempestates», also gegen Dämonen und Unwetter, wie es über der Wachsmedaille geschrieben steht.

  1. Haussegen; Umgebung Rankweil, Vorarlberg, Österreich; Agnus Dei 15. Jh., Ensemble 17. Jh.; Knochenteile, Wachs, Leinen, Brokat, Seide, Spitze, Borten, Kantillen, Papier, Metall; Emanuel Grossmann, Kauf 1958, VI 23927a

 

Die Wirkung der Reliquien lässt sich auch mit der Kraft von Symbolen verbinden, zum Beispiel mit dem Kreuz als zentralem Zeichen des Christentums. Der Wert einer
jeden Reliquie gründet auf dem Glauben an den Kreuzestod Christi und an dessen Auferstehung. Die Heiligen wurden dadurch ebenso erlöst wie der oder die Andächtige
vor einem Kreuz. So wird er oder sie sich daran erinnert fühlen, Teil der christlichen Gemeinschaft zu sein.

  1. Kruzifix und Reliquienpartikel; Schweiz; 19. Jh.; Holz, Glas, Bein, Papier, Textil, Wachs; Jakob Lörch, Kauf 1911, VI 4679
  2. Reliquienkreuz; Schweiz; um 1920; Papier, Textil, Goldfaden; Eugen Zschokke, Geschenk 1927, VI 10442

 

Die kleinen Kapseln aus Holz, Metall und Textil bergen christliche Reliquienpartikel, häufig mit einem Papierstreifen beschriftet. Es handelt sich dabei in der Regel nicht um tatsäch-
liche Körperfragmente eines oder einer Heiligen, sondern um Stoffstückchen oder andere Materialien, die mit dem Leichnam in Berührung kamen. Auch sie gelten als heilbringend.
In einer Reliquienkapsel kann die Wunderkraft verschiedener Heiliger miteinander kombiniert werden, um beispielsweise auf Reisen den grösstmöglichen Schutz zu gewährleisten – je mehr, desto besser.

  1. Gedrechselte Reliquienkapseln; Luzern, Schweiz; 19. Jh.; Holz, Papier, Gips, Textil; Jakob Lörch, Kauf 1910, VI 4261, VI 4262
  2. Gedrechselte Reliquienkapsel; Berner Jura, Schweiz; 19. Jh.; Holz, Papier, Gips, Textil;
    E. Röthlisberger, Kauf 1943, VI 16958
  3. Reliquienkapsel zum Anhängen; Zug, Schweiz; 18. Jh.; Messing, Gold- und Silberfaden, Papier, Textil; Jakob Lörch, Kauf 1913, VI 5586
  4. Reliquienkapsel zum Anhängen; Zug, Schweiz; 18. Jh.; Messing, Wachs, Papier, Textil; Jakob Lörch, Kauf 1922, VI 9603
  5. Reliquienmedaillon; Schweiz; 18. Jh.; Karton, Papier, Goldfaden; Ernst Alfred Stückelberg, Geschenk 1909, VI 3339
  6. Birne mit Reliquienpartikel; Bregenzerwald, Vorarlberg, Österreich; 18. Jh.; Samt, Karton, Papier, Goldfaden; Hubert Bühler, Kauf 1958, VI 24195

 

Im Zentrum des Bildes ist eine Wachsmedaille: ein «Agnus Dei», hergestellt aus dem Wachs der Osterkerze, versehen mit dem Relief des Lammes Gottes und vom Papst gesegnet. Seine Schutzwirkung wird ergänzt durch kleinste Reliquienpäckchen, die zwischen den bunten Glassteinen fast nicht zu erkennen sind. Eine Reliquie muss nicht sichtbar sein, um als wirkmächtig zu gelten.

  1. Agnus Dei in Rahmen; Schweiz (?); Wachsmedaillon 1892; Fassung um 1900; Holz, Glas, Textil, Wachs, Gold- und Silberfaden, Glassteine und -perlen, Pailletten; Werner Jaggi, Kauf 1980, VI 52419

 

Im Zentrum dieses Bildes steht die Wirkmächtigkeit der Wundmale Christi. Der aquarellierte Scherenschnitt in der Mitte zeigt die mandelförmige Wunde in einem Strahlenkranz, darüber die Folterwerkzeuge. Ein Schriftband präsentiert sich genau in der Länge der Wunde und ist beschriftet mit «La Mesure de la Ste Playe de J.C.» (Die Masse der Heiligen Wunde Jesu Christi). Die Masse der Wunde, wie auch anderer Körperteile Christi, gelten ebenso als wundertätig wie Reliquien. In den dekorativ gerollten Papierranken finden sich weitere Reliquienpartikel.

  1. Krüllarbeit mit Reliquien und Schnittbild; Savoyen, Frankreich; um 1850; Holz, Glas, Papier, Textil; Frau Stoecklin (Antiquitätenhändlerin), Kauf 1962, VI 28083

 

Das mittelalterliche Original dieses Marienbildes wird im italienischen Genazzano, östlich von Rom, verehrt. Es gilt als wundertätig und ist eines der meistkopierten Gnadenbilder Europas. Sein Abbild ist in mehreren Schwyzer Kapellen zu sehen. Kopien von wundertätigen Gnadenbildern gelten ebenfalls als wirkmächtig. Besonderen Wert haben diejenigen Exemplare, die vor Ort gemalt und mit dem Original berührt wurden. Gleich wie bei den Berührungsreliquien geht auch in diesem Fall die Wirkmächtigkeit von einem
Stoff auf den anderen über.

  1. Gnadenbild S. Maria del buon Consiglio; Schwyz, Schweiz; 18. Jh.; Holz, Textil, Gaze, Papier, Metall-Folie, Perlen, Glasfluss, Knochenfragmente, Stein; kolorierte Druckgrafik; Alois Blättler, Kauf 1953, VI 19861

 

Das Kastenbild dokumentiert eine private Pilgerreise ins Heilige Land um 1860: Palmholz aus dem Garten Getsemani, ein Stein vom Ölberg, kleine Ästchen und Reliquienpartikel von heiligen Stätten wie dem Heiligen Haus von Nazareth und dem Tempel Salomons wurden zusammengetragen und arrangiert. Darunter ist wie ein Altar ein Druck platziert, der spiegelverkehrt und mit Abkürzungen die Inschrift «Nazarenus Rex Jude» trägt. Dass Naturalien wie Steinchen oder Ästchen aus Jerusalem verehrt werden können,
zeigt deutlich: Manche Reliquien gehen nie aus, sie sind unendlich verfügbar.

  1. Jerusalem-Andenken; Menzingen, Schweiz; um 1860; Holz, Glas, Karton, Papier, Textil, Metall-Folie, Perlmutt, Gold, Glasfluss, Kunststoff-Röhrchen, Silberfaden; Jakob Lörch, Kauf 1912, VI 5416

 

Das Fassen, also das Arrangieren, Dekorieren und Rahmen einzelner oder mehrerer Reli-
quien, wurde häufig in Frauenklöstern verrichtet, deshalb werden solche Werke auch als Klosterarbeiten bezeichnet. Die kleinteilige Arbeit brauchte viel Zeit und Konzentration und wurde als spirituelle Versenkungsübung praktiziert. Gleichzeitig brachte ihr Verkauf den Klöstern zusätzliches Einkommen.

Die Form dieser Klosterarbeit ist selten. Die Päckchen sind als Reliquien der heiligen Severin, Donatus, Felix sowie als Agnus Dei beschriftet.

  1. Klosterarbeit mit Reliquien; Wien, Österreich; Mitte 18. Jh.; Holz, Glas, Seide, Metallfaden, Pailletten, Stanniolblättchen, Glassteine, Glasperlen; Gabriele Folk-Stoi, Kauf 1965, VI 31754

 

Die im Korb der Ngaju versammelten Dinge sollten die Kontaktaufnahme mit jenseitigen Wesen ermöglichen, um die Menschen in allen Lebensbereichen zu unterstützen. Dazu gehören gute Ernten, schneller Reichtum, Schutz gegen Anfeindungen und Krankheiten oder Abwehr von negativen Einflüssen. Voraussetzung für die Hilfe war, dass der Korb als Zeichen eines Versprechens an der Decke aufgehängt wurde: Nach erfolgter Hilfestellung soll ein Opfer dargebracht werden. Die Wirkung der einzelnen Elemente zusammengenommen versprach allumfassendes Wohlergehen.

  1. Korb salang uei mit 52 Hilfsmitteln karohei; Ngaju; Kuala Kapuas, Zentral-Kalimantan, Indonesien; vor 1934; Rotan, Keramik, Holz, Tierzähne, -schädel, Textil, Stein, Metall; Mattheus Vischer, Geschenk 1934, IIc 3088

Wert des Reparierten

Materielle Dinge sind brüchig und vergänglich. Neben zufälligem Ungemach nagt vor allem der Zahn der Zeit an ihnen. Mit Techniken und Praktiken des Reparierens können diese Prozesse verzögert werden. Dabei bestimmen Strategien des Erhaltens, verwendete Materialien und Werkzeuge die Resultate. Zunehmend verschaffen sich auch Initiativen Gehör und Zulauf, die sich gegen die Wegwerfgesellschaft und den geplanten Verfall von Produkten wehren.

Sorgfalt – Eine Reparatur ist eine aktive Instandsetzung eines kaputten Gegenstandes. An-
statt ihn zu entsorgen, entscheidet sich die reparierende Person, den Gegenstand wieder in einen funktionstüchtigen Zustand zu bringen. Ausschlaggebend können wirtschaftliche Notwendigkeit, der Nachhaltigkeitsgedanke, eine emotionale Bindung, aber auch politisch oder philosophisch begründete Achtsamkeit sein.

Fertigkeiten – Die Gefässe aus Metall, Kalebasse, Holz, Keramik, Stein oder Kunststoff erfordern unterschiedliche Techniken der Reparatur, die von Fähigkeiten, Kenntnissen
und Ideen der Reparateur*innen abhängen. Sie setzen Zeit, Energie und meist zusätz-
liche Materialien ein, um einen Gegenstand wieder funktionstüchtig zu machen.

Ein Stück Objektgeschichte – Einige der Gefässe wurden von Vorbesitzer*innen selbst oder von Fachkräften repariert. In anderen Fällen geschah eine Bearbeitung erst durch Mitarbeitende im Museum. Erst seit der Professionalisierung der restauratorischen
Berufe in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unterscheidet sich die handwerkliche Bearbeitung eines Objektes merklich von einer Restaurierung. Daher lässt sich bis in die 1990er-Jahre oft nicht bestimmen, wann ein Objekt behandelt wurde. Sicher ist, dass
jeder Eingriff und jede Reparatur immer eine materielle Veränderung eines Gefässes mit sich bringt – also auch zu einem Teil seiner Geschichte wird.

 

«Lestu mich auf einen stein springen, so werden meine scherben klingen. Anno 1734». Mit diesem Spruch warnt der Krug vor seiner eigenen Fragmentierung.

  1. Krug; Elsass oder Südwestdeutschland; 1734; Irdenware, Glasur; Josef Anton Häfliger, Geschenk 1933, VI 11481

 

Schwarze Spuren im Inneren dieses Kruges deuten auf Teegenuss hin. Die Keramik zersprang einst in mehrere Teile. An drei Stellen ist sie mit einem Draht aus einer Eisenlegierung geheftet. Um die Drähte anzubringen, wurde die Teekanne angebohrt. Am Deckel sind Teile der Glasur abgesplittert.

  1. Krug; Schweiz; 19. Jh.; Fayence, Glasur, Metall; Jakob Lörch, Kauf 1910, VI 3412

 

Der Sammler vermutete, dass der Krug zur Aufbewahrung von Speisevorräten wie Maniok-
mehl diente. Damit wird der stärkehaltige Brei Fufu, Grundnahrungsmittel in West- und Zentralafrika, zubereitet. In solchen enghalsigen Krügen wurde aber auch Wasser oder Öl aufbewahrt. Die Fehlstellen lassen eine Rekonstruktion im Museum vermuten, da sie dem Krug nicht mehr erlauben, seine ursprüngliche Funktion zu erfüllen.

  1. Krug; Nigeria; vor 1911; Keramik, Klebstoff; Slg. Ernst Barth, Geschenk 1911, III 3833

 

Objekte aus Kunststoff sind in heutigen Haushalten in den unterschiedlichsten Funktionen anzutreffen. Sie sind in der Regel nicht teuer und im Umgang robust. Doch auch sie können Schaden nehmen. Inzwischen gibt es Möglichkeiten, auch Plastikgefässe zu reparieren, damit sie nicht im Abfall landen. Schmelzbarer Biokunststoff wird in kleinen Portionen für den Hausgebrauch angeboten. Durch den Kontakt mit heissem Wasser wird er weich und modellierbar. In diesem Zustand können damit Bruchstellen geflickt, Griffe und Henkel wieder angeklebt oder – wie bei diesem Krug – neu modelliert werden. Die so reparierten Plastikgefässe stellen die ‹Wegwerfgesellschaft› infrage.

  1. Krug; Schweiz; 2021; Kunststoff, Biokunststoff; Florence Roth und Andreas Winter, Geschenk 2022, VI 72219.01+02

 

Tongefässe eignen sich hervorragend zur Aufbewahrung von Wasser. Da sie porös und atmungsaktiv sind, kühlen sie das Wasser und halten es frisch. Das Gefäss war Vorlagefür das Volumenmass kulleh oder kula, das in Nordafrika für das Abmessen von Öl und anderen Flüssigkeiten gebräuchlich war. Unter welchen Umständen diese Wasserflasche zerbrach, wissen wir nicht. Bekannt ist, dass sie einer musealen Restaurierung unterzogen wurde: Das Gefäss wurde geklebt, die Fehlstellen mit Kittmasse aus Gips ergänzt und das vorhandene Muster fortgesetzt. Die Eingriffe zur Erhaltung des Objekts bleiben sichtbar.

  1. Wasserflasche kulleh; Kairo, Ägypten; vor 1873; Keramik, Klebstoff, Gipsergänzungen; Slg. Fritz Zahn-Geigy und Karl Zahn-Burckhardt, Geschenk 1873, III 103

 

Es verblüfft, dass die ursprüngliche Form dieses Topfes rekonstruiert werden konnte, denn nur knapp die Hälfte des Ursprungsmaterials ist vorhanden. Die sechs Bruchstücke wur-
den im Museum zusammengefügt.

Der Krug stammt aus der Gegend der Gebirgskette Tassili n’Ajjer in der Sahara, die für ihre bis zu 10’000 Jahre alten Felsmalereien und archäologischen Fundstätten bekannt ist.
Seine Bruchstücke wurden dem Sammler zufolge zwar an der Oberfläche gefunden, sind aber vermutlich neolithischen Ursprungs.

  1. Gefäss; Algerien; ohne Datierung; Keramik, Klebstoff; Slg. Maximilien Bruggmann, Kauf 1963,
    III 16222

 

Bis ins 20. Jahrhundert kamen in vielen Schweizer Haushalten Kupferkessel und -töpfe zum Einsatz. Sie wurden entweder an einem Bügel über das Feuer gehängt oder direkt ins Feuer oder auf den Herd gestellt. Dadurch bildeten sich Löcher am Boden, am Rand oder an den Wänden. Die Reparaturen führten meist Wanderhandwerker aus. Sie hämmerten ein rechteckiges Stück Blech zurecht, legten es auf die zu reparierende Stelle, befestigten es auf beiden Seiten mit Nieten und löteten das Blech manchmal zusätzlich an.

  1. Kupferkessel; Innerschweiz; ca. 1900; Kupfer, Zinn; Hans Peter Weber, Geschenk 1993, VI 66278

 

In diesem Kupferbecken wurde Brotteig hergestellt und gebacken. Dazu wurden glühende Kohlen auf den Deckel gelegt und das Metall leitete die Hitze ins Innere. Nach einem Defekt wurden die Kanten fein eingeschnitten, ineinandergesteckt und mit einer Zinnlegierung innen und aussen zusammengelötet – das Lotmetall hebt sich auffällig ab.

  1. Becken zum Brotbacken; Jakarta, Java, Indonesien; vor 1898; Kupfer, Zinnlot; Slg. Paul und
    Fritz Sarasin, Geschenk 1898, IIc 23

 

Die Löcher im Topf sind durch Reparaturen verdeckt. Meist verzinnten Kesselflicker nach einer Reparatur die Gefässe. So auch bei diesem Kessel, der danach wieder einsatzfähig war. Dieses Handwerk war bis weit bis ins 20. Jahrhundert verbreitet. Solche Kupferkessel erinnern an frühere Reparaturgewohnheiten.

  1. Kochtopf; Basel, Schweiz; um 1900; Kupfer, Zinn; Emma Sophie Von der Mühll-Kern, Geschenk aus Nachlass 1939, VI 15498

 

Wann diese Essschale zerbrach, ist nicht bekannt, auf der Karteikarte ist lediglich vermerkt: «War zerbrochen, wurde wieder zusammengesetzt». Entlang der Bruchkanten ging viel Material verloren, deshalb passen die Bruchstücke nicht exakt auf- und ineinander.

  1. Schale; Bedja; Nubische Wüste, Ägypten/Sudan; vor 1956; Keramik, Leim; Slg. Ludwig Keimer, Stiftung C.L. Burckhardt-Reinhart, Geschenk 1954, III 14527

 

Felix Speiser sammelte auf Vanuatu mehr als 3000 Objekte, darunter viele Tongefässe. Einige dieser Gefässe sind zerbrochen. Auf den Karteikarten hat Speiser sie mit höchster Sorgfalt und detailgetreu in intaktem Zustand gezeichnet, einen Hinweis auf Reparaturen vermerkte er nicht. Ob sie erst im Museum zerbrachen? Einige Bruchstücke gingen zudem verloren.

Speiser beobachtete die Verwendung dieses Gefässes als Kochgeschirr. Es wurde allerdings nie direkt aufs Feuer gestellt; um Flüssigkeiten zu erhitzen, mussten aufgeheizte Steine in den Topf gelegt werden.

  1. Schale; Pespia, Espiritu Santo, Vanuatu; vor 1912; Ton, Leim; Slg. Felix Speiser, Kauf 1910-1912, Vb 4715

 

In solchen Schüsseln wurden wohl Speisen für Gemeinschaften wie etwa Familien direkt am Tisch serviert. Grosse Beschädigungen sind zu erkennen, der ganze Boden war herausgebrochen. Die Reparierenden fügten die Schüssel mit Drähten neu zusammen. Dazu wurde der Ton durchbohrt, ein Draht durchgezogen und an der Aussenseite festgezwirnt. Wahrscheinlich geschah die Reparatur kurz nach dem Zerbrechen, denn an den Bruchkanten ist kaum Material abgesplittert, die Scherben sind passgenau aneinandergefügt.

  1. Schüssel; Rotenhof, Küssnacht am Rigi, Schwyz, Schweiz; 19. Jh.; Irdenware, Glasur; Jakob Lörch, Kauf 1910, VI 4321

 

«Gesundheit und frieden haben sind zwei schöni Gotteßgaben x 1829 x». Wurde die Schüssel möglicherweise an Sonn- oder Feiertagen genutzt, um an das eigene Wohlergehen zu erinnern und den Dank dafür auszudrücken?

Die Schüssel lag einst in Scherben. Mit Drahtklammern wurde sie von unbekannter Hand wieder zusammengefügt. An einer Stelle geht ein Bruch durch ein Bohrloch. Dieser Schaden entstand wohl bei der Reparatur – ironischerweise löste er weitere Massnahmen aus. Jedoch verraten uns die klaffenden Lücken, dass die Schale nicht mehr alltagstauglich war; wahrscheinlich wurde sie für den Kunst- oder Antiquitätenhandel ‹hergerichtet›.

  1. Schüssel; Langnau, Emmental, Bern, Schweiz; 1829; Irdenware, Glasur, Metall; Slg. Jakob Wiedmer-Stern, Kauf 1906, VI 1442

 

Die Schale könnte als Suppenteller gedient haben. Der Bruch in zwei Hälften wurde mit Leim behoben. Entlang der Bruchkante und am Gefässrand sind Teile der Glasur abgesplittert.

  1. Schale; Langnau, Emmental, Schweiz; 1823; Irdenware, Glasur, Leim; Slg. Jakob Wiedmer-Stern, Kauf 1906, VI 1441

 

Das Loch in der Steinschale wurde mit einem Metallstück bedeckt und beides mit einem Niet verbunden. Die Kombination von Stein und Metall bringt zwei widerstandsfähige Materialien zusammen, was dem Gefäss eine besondere Anmutung verleiht.

  1. Steinschale; Tuareg; Oase Abardak, Air-Bergland, Niger; vor 1970; Stein, Messing; Slg. René Gardi, Depositum FMB 1970, III 18013

 

Die kundige Begutachtung und Wertschätzung der Teegeräte durch Gäste ist Bestandteil der japanischen Teezeremonie. Eine kintsugi-Reparatur betont den besonderen Charakter einer Teeschale, die ein Gast achtet und würdigt.

Das Gewerbemuseum kaufte die Teeschale 1935 von dem deutsch-jüdischen Antiquitäten-
händler Felix Tikotin. Während des Zweiten Weltkriegs mussten sich Tikotin und seine Familie verstecken. Nach 1945 nahm Felix Tikotin seine Arbeit als Kunsthändler für
Asiatica wieder auf.

  1. Teeschale chawan; Japan; 17./18. Jh.; Ton, Glasur, Urushi-Lack mit Goldpigmenten;
    Slg. Gewerbemuseum Basel, Kauf bei Felix Tikotin 1935, IId 10766

 

In Japan wird eine Goldreparatur in kintsugi-Technik für Stücke aus Keramik oder Porzellan und bisweilen auch Bambus angewandt. Dabei werden Bruchstücke mit Urushi-Lack geklebt und Fehlstellen ergänzt. In die letzte Lackschicht wird ein feines Pulver aus Gold, Silber oder Platin eingestreut. Dies betont die Bruchlinien, anstatt sie zu kaschieren. Die Goldreparatur wertet die Teeschale nicht nur optisch auf, sondern lässt sie Teil eines ästhetischen Prinzips werden, das den Wert des Unvollkommenen und Unbeständigen betont.

  1. Teeschale chawan; Japan; 17. Jh.; Ton, Glasur, Urushi-Lack mit Goldpigmenten;
    Slg. Gewerbemuseum Basel, Kauf bei A. Sautier um 1935, IId 10769


Im Gegensatz zu Gefässen aus Ton sind Kalebassenschalen leicht, aber ebenso zerbrechlich. Risse werden repariert, und die Reparaturnähte belegen nicht nur die Wertschätzung
solcher Gefässe, sie sind auch ästhetische Zeichnungen.

In Mali und der Côte d’Ivoire sind die Frauen der Schnitzer darauf spezialisiert, Kalebassen zu flicken, und bieten auf Märkten ihre Dienste an. Bei dieser Halbschale wurden an beiden Seiten des Sprunges mit einem Eisenstab kleine Löcher gebohrt, danach hat man den Riss mit einer Wulst aus Pflanzenfasern als Dichtungsmaterial verschlossen und mit einer zähen, biegsamen Faser zusammengenäht. Durch die ‹Narbe› bleibt die Bruchstelle sichtbar.

  1. Kalebassenschale; Bamako, Mali; vor 1987; Kalebasse, Pflanzenfaser; Slg. Bernhard Gardi, Kauf 1987, III 24800

 

Flaschenkürbisse werden in tropischen und subtropischen Gebieten angebaut. Zur Herstellung von Gefässen werden die fleischigen Fruchtschalen ausgeschabt und an der Luft getrocknet. Dadurch entstehen harte Behälter, die sich für die Aufbewahrung und den Transport von Flüssigkeiten wie Wasser, Milch und Bier eignen.

Die Risse in der Kalebasse wurden sorgfältig mit Fäden aus Palmblatt und Schnüren geflickt. Die Schale zerbrach ein weiteres Mal auf dem Transport von der nubischen Wüste nach Basel. Um ihr ein zweites Leben als Museumsobjekt zu sichern, wurden die Bruchstellen geleimt.

  1. Kalebassenschale; Bedja; Nubische Wüste, Ägypten/Sudan; vor 1954; Kalebasse, Pflanzenfaser, Textil; Slg. Ludwig Keimer, Stiftung C.L. Burckhardt-Reinhart, Geschenk 1954, III 13136

 

Bevor das Wegwerfen von beschädigten Gegenständen im 20. Jahrhundert selbstverständlich wurde, galt das Reparieren vielerorts als alltägliche Arbeit. Bei dieser vielgebrauchten Kalebasse wurden die Sprünge mit Leder zugenäht. Praktiken des Ausbesserns verlängern nicht nur die Lebensdauer der Dinge, sie bezeugen auch technisches Können und überliefertes Wissen.

  1. Kalebassenschale; Bedja; Nubische Wüste, Ägypten/Sudan; vor 1954; Kalebasse, Pflanzenfaser; Slg. Ludwig Keimer, Stiftung C.L. Burckhardt-Reinhart, Geschenk 1954, III 13137

 

Die Rahmbecken sind aus einem Stück Holz gedrechselt. In den Becken, auch Gebse genannt, wird die Milch zur Entrahmung stehengelassen. Nach einigen Stunden kann die dicke Rahmschicht an der Oberfläche abgeschöpft werden.

Die Risse an den Becken wurden mit unterschiedlichen Techniken repariert. Kleine Risse sind mit Klammern gefestigt. Franste der Rand aus, wurden Löcher ins Holz gebrannt
und ein Metallstück am Rand befestigt.

  1. Rahmbecken Gebse; Toggenburg, St. Gallen, Schweiz; um 1900; Holz, Metall, Farbe; Emanuel Grossmann, 2009, VI 70518.05+02

 

Solche multifunktionalen Holzschalen setzen Mitglieder der Shipio-Conibo für die Zubereitung und Darreichung von Speisen ein. Bei der Reparatur dieses Holzgefässes kam eine Vielfalt von Techniken zum Einsatz. Ein Riss wurde mit zwei Drahtklammern gesichert; zusätzlich verwendete die reparierende Person ein Blechstück, um eine abgebrochene Stelle am Rand zu sichern. Das Metall löste sich wieder ab – es sind nur noch die Nägel erhalten, welche die letzten Reste festhalten. Möglicherweise hat einer der Nägel die Risse verstärkt.

  1. Holzschale; Shipibo-Conibo, Missionsstation Bethel, Ucayali, Peru; vor 1968; Holz, Metall;
    Slg. Gerhard Baer, Kauf 1968/69, IVc 14530

 

Die früheren Besitzenden nutzten die Holzschale wohl als Teigschale zur Zubereitung des Brotteigs. Durch die Astlöcher ist die Schale anfällig für Risse und Löcher. An einer Stelle wurde mittels eines länglichen Metallstücks ein breiter Spalt abgedeckt. Aber auch die Reparatur ist vergänglich; das vermeintlich widerstandsfähigere Material hat sich zersetzt und grösstenteils wieder abgelöst.

  1. Holzschale; Duboševica/Vardarac, Osijek-Baranja, Kroatien; ca. 1900; Holz, Metall; Slg. Etelka Liptak, Kauf 1984, VI 59420

 

Der Holzlöffel wurde zum Kochen und Rühren wie auch zum Essen genutzt. Der Sprung neben dem Griff wird mit sechs kurzen, S-förmigen Metallspangen zusammengehalten.
Die sorgsame Reparatur könnte Ausdruck der Wertschätzung sein – zumal Holz in der Sahara und im Sahelgebiet ein rares Gut ist.

  1. Holzlöffel assilcao; Tuareg; Timbuktu, Gundam, Mali; vor 1946; Holz, Metall; Slg. Jean Gabus, Kauf 1946, III 9388

 

Die mit Kerbschnitten verzierte Holzschale diente als Essgeschirr. Das abgebrochene Stück am Rand ist auf der Innenseite mit zwei Metallklammern befestigt, die an der Aussenseite miteinander verdreht sind. Die Spur des Risses wurde mit glänzenden Metallnägeln betont.

  1. Holzschale; Ennedi, Tschad; vor 1957; Holz, Metallblech; Slg. Peter Fuchs, Kauf 1957, III 14790

 

Die verblüffende Grösse dieser Holzschale verweist auf ihre Nutzung bei formellen und informellen Gemeinschaftsanlässen. Bei einem Festmahl wurden darin Speisen wie Schweinefleisch, Opossum oder Gemüse aufgetragen.

Die Risse am Gefäss wurden beidseitig mit Metallstiften repariert und anschliessend mit einer schwarzen Masse abgedichtet. Dabei könnte es sich um Kitt aus der weichen Kern-
masse der Frucht des Parinarium-Strauches handeln. Mit Parinariumkitt überstrichene Stellen sind wasserdicht. Wir wissen nicht, wer die Reparaturen ausgeführt hat.

  1. Holzschale; Manus, Papua-Neuguinea; vor 1919; Holz, Metall; J. Weber, Kauf 1919, Vb 4976

Zerfallen lassen

Wenn Dinge ‹ausgedient› haben, werden sie mitunter dem Zerfall anheimgegeben – sie wer-
den weggeworfen, in den Wald gebracht, dem Fluss übergeben oder der Verwitterung aus-
gesetzt. Dieses Vorgehen hängt oft mit Sterben und Tod zusammen. Das Lebensende ist in vielen Kulturen mit Gefahren für die Hinterbliebenen, mit einer Neuordnung der sozialen Beziehungen und mit starken Emotionen verbunden. Mit zuweilen aufwendigen Ritualen wird vielerorts Verstorbener gedacht, Verlust bewältigt und die Zukunft der Betroffenen gesichert.

 

Blosse Hüllen – In Museen befinden sich Dinge, die sich auf das Materielle des Todes beziehen. Dabei kann es sich um Objekte handeln, die eng mit einzelnen Individuen verknüpft waren und die deswegen nach einem Todesfall aggressiv behandelt oder zur
Schau gestellt wurden. Danach galten sie als blosse Materie – als leere Hülle –, die ausrangiert werden musste.

 

Gedenken – Um Toten und ihrer Taten zu gedenken, um Verstorbene in die jenseitige Welt zu geleiten und um ihren Beistand für die Lebenden zu sichern, müssen die Hinterbliebenen bestimmte Regeln befolgen und Handlungen durchführen. Dazu kann auch gehören, dass
ein Monument oder Bauwerk errichtet, eine Stele oder Statue angefertigt wird. Solche
Werke werden meist im Freien aufgestellt, wo sie langsam verwittern.

 

Vererbung – Das Ausrangieren von Dingen kann mit Vererbung und Weitergabe von Privilegien in Verbindung stehen. Wenn diese Dinge ihre zeitlich befristete Rolle zum Beispiel als Zeugen in einem Ritualzyklus erfüllt haben, scheiden sie aus dem Kreis-
lauf von Entstehen, Weitergabe und Vergehen aus und sollen sich auflösen.

 

malagan bezeichnet neben Schnitzwerken auch mit ihnen verbundene Zeremonien, die zu Ehren von Verstorbenen nach langwierigen Vorbereitungen abgehalten werden. Während der Rituale gelten die Werke als belebt. Auf dem Höhepunkt der Feiern werden solche
Friese zur Schau gestellt, bestaunt und bewundert. Unmittelbar nach ihrer öffentlichen Präsentation werden sie weggeworfen und dem Verfall überlassen. Als die Nachfrage nach diesen Kunstwerken stieg, gingen die Menschen auf Neuirland dazu über, die Werke nach den Ritualen direkt an Händler*innen und Sammler*innen zu verkaufen.

 

  1. malagan-Fries; Beilifu, Neuirland, Papua-Neuguinea; vor 1931; Holz (Alstonia scholaris), Pigmente, Schneckenschale; Slg. Alfred Bühler, Kauf 1932, Vb 10578

 

Die dem Verfall preisgegebenen Seitentürstücke waren ein wichtiger Teil der lokalen Archi-
tektur. In den Häusern der chefs entschied der Ältestenrat über Allianzen, Kriege oder die Beilegung von Streitigkeiten. Diese Bedeutung wurde in der Architektur der Häuser aufgenommen. Den Eingang flankierten reich verzierte Seitentürstücke, die das Haus beschützten. Sie standen für die Hüter des Clans und vermittelten zwischen dem Geist der Toten und den Handlungen der Lebenden.

Zu den Trauerritualen eines hochrangigen Kanak gehörte eine spektakuläre Zeremonie. Die Onkel mütterlicherseits drückten ihre Trauer über den Tod ihres Neffen aus, indem sie mit Äxten auf die Seitentürstücke einschlugen. Die Schnitzereien trugen dabei Verletzungen im Gesicht oder am Rumpf davon.

 

  1. Seitentürstück; Kanak, Hienghiene, Neukaledonien; vor 1912; Holz, Farbe; Slg. Fritz Sarasin, Geschenk 1913, Vb 2629

 

Die Gesellschaft der Kanak veränderte sich ab 1853 mit der Kolonisierung: Sie brachte den Abbau von Rohstoffen, die Nutzung als Strafkolonie, das Einschleppen von Krankheiten
und eine drastische Dezimierung der Bevölkerung. Die Missionierung setzte 1840 ein und wirkte sich in erster Linie auf die religiösen Praktiken der Kanak aus. Dazu gehörten auch Trauerrituale und Bestattungspraktiken. In der Folge wurden schmalere Seitentürstücke mitunter zu Särgen umfunktioniert, die wie dekorierte Truhen anmuten.

Das verletzte Gesicht zeigt einen von Zähnen umrahmten Mund mit abgeschlagener Zunge.

 

  1. Seitentürstück; Canala, Neukaledonien; vor 1912; Holz, Farbe; Slg. Fritz Sarasin, Geschenk 1913,
    Vb 2637

 

Kleinere Häuser waren mit schmalen Seitentürstücken ausgestattet. Bis Mitte des 19. Jahr-
hunderts richtete sich die Trauer nicht nur gegen diese Türstücke als Repräsentationen
der Ahnen; auch Kokospalmen, bepflanzte Rabatten und persönliche Gegenstände des Verstorbenen waren Angriffen ausgesetzt.

 

  1. Seitentürstück; Nakéty bei Canala, Neukaledonien; vor 1912; Holz, Farbe; Slg. Fritz Sarasin, Geschenk 1913, Vb 2622

 

Mitglieder der Konso liessen solche waka-Stelen für angesehene Verstorbene anfertigen. Auch nach dem Tod bleibt es deren Aufgabe, das Wohlergehen und die Fruchtbarkeit
ihrer Gruppe zu sichern. Die Stelen verkörpern Werte wie Intelligenz, Mut, Tapferkeit, Furchtlosigkeit und Tüchtigkeit. Sie gelten als Beispiel und Anreiz für junge Männer.

Die männliche Figur ist stark verwittert. Trotz des Zerfalls lässt sich eine hoch aufge-
richtete Frisur oder ein Kopfschmuck vermuten, beides weist den Ahnen als Held aus.

 

  1. Stele waka; Äthiopien; vor 1977; Holz; Slg. Francis Bourgogne, Kauf 1977, III 21326

 

Die öffentliche Errichtung eines waka wird bei einer aufwendigen Totenfeier vorgenommen, die von Lobgesängen auf Taten und Verdienste des Verstorbenen begleitet ist. Durch diesen Akt wird ein Verstorbener zu einem Ahnen. waka werden an Strassen, Kreuzungen, öffentlichen Plätzen oder als Grabmarkierungen auf Feldern und in Hainen aufgestellt.

Mit der Zeit verlieren die Figuren ihre Züge und Konturen. Nach drei bis vier Generationen löst sich nicht nur das Holz auf, auch die kollektive Erinnerung ist verblasst.

 

  1. Stele waka; Äthiopien; vor 1977; Holz; Slg. Francis Bourgogne, Kauf 1977, III 21324

 

Über mehrere Zeremonien hinweg wurden die rituellen Privilegien übergeben: Im ersten Fest wurden die Figuren geschnitzt und eingekleidet, beim zweiten Fest entkleidet, bemalt und mit Liedern besungen. Der Vater übergab dabei seinen Namen und seine Rechte am Fest-

zyklus an seinen Sohn. Während der ersten beiden Zeremonien waren die Statuen die Söhne und Töchter des Schöpferwesens. Der Festleiter, als Stellvertreter des Schöpferwesens, behandelte sie wie eigene Kinder, um den Fortbestand der Familie zu sichern. Nach dem letzten Fest sollte der Ritualpartner die Statuen zum Verrotten in den Wald bringen oder in einen Fluss werfen.

 

  1. Männliche Statue foonhunraaga; Ivo’tsa (Ocaina), Murui (Witoto); La Chorrera, Kolumbien; ca. 1963; Holz (apijona), Pigmente; Slg. Jürg Gasché, Depositum 1970er-Jahre, Kauf 2017, IVc 26753

 

Die Statuen gehörten zu einem Festzyklus, bei dem Privilegien vererbt wurden. Dazu wurde auf generationen- und ethnienübergreifende Ritualpartnerschaften zurückgegriffen. Part-
ner halfen sich gegenseitig und übernahmen jeweils rituelle Aufgaben bei den Festen des anderen. Doch in diesem Fall missachtete der Festleiter die Regeln: Anstatt die Statuen
nach Abschluss des Festzyklus in den Wald bringen oder in einen Fluss werfen zu lassen, behielt er sie zurück. Als seine Nachbarschaft ihn dafür kritisierte, überliess er die Statuen dem Sammler Gasché.

 

  1. Männliche Statue foonhunraaga; Ivo’tsa (Ocaina), Murui (Witoto); La Chorrera, Kolumbien; ca. 1963; Holz (apijona), Pigmente; Slg. Jürg Gasché, Depositum 1970er Jahre, Kauf 2017, IVc 26752

 

foonhun bezeichnet ein Geistwesen, das dem Körper beim Sterben entweicht. Bestimmte Dinge, die eine Verkörperung der Geistwesen darstellen, werden dem Zerfall anheimge-
geben, wenn sie ihre Funktion nicht mehr ausführen sollen.

foonhunraaga-Statuen durchliefen einen Lebenszyklus, der an eine Abfolge von Festen ge-
bunden war. Durch rituelle Akte und handwerkliche Tätigkeiten wurden sie geboren und nahmen an wirtschaftlichen, sozialen und religiösen Beziehungen teil. Wären die Statuen dem Wald oder einem Fluss übergeben worden, hätte sich ihr Körper aufgelöst, und die Seelen der Kinder des Schöpferwesens wären für einen neuen Zyklus freigesetzt gewesen.

 

  1. Weibliche Statue foonhunraaga; Ivo’tsa (Ocaina), Murui (Witoto); La Chorrera, Kolumbien; ca. 1963; Holz (apijona), Pigmente; Slg. Jürg Gasché, Depositum 1970er Jahre, Kauf 2017, IVc 26754

 

In vielen Gesellschaften Indonesiens hängt das Wohlergehen im Diesseits vom Wohlwollen der Verstorbenen im Jenseits ab. Entsprechend aufwendig können Totenfeste sein.
Wichtige Elemente bei Totenfesten in Kalimantan sind Erinnerungsfiguren. Diese zeigen
oft charakteristische Merkmale der verstorbenen Person und lassen deren Position in der Gemeinschaft erkennen. Die Hockerfigur ist typisch für die Bahau am Mahakamfluss und benachbarte Gruppen. Die Figuren bleiben nach den Totenfeiern vor den Wohnbereichen
der Familien und beschützen diese, während sie langsam verwittern.

 

  1. Totenerinnerungsfigur; Lawangan; Zentral-Kalimantan, Indonesien; vor 1987; Holz, Farbreste; Vorbesitzerin Anne Morley, FMB, Depositum 1987, IIc 20273

 

Die Totenerinnerungsfigur der Ngaju oder Ot Danum aus dem südlichen Zentral-Kalimantan wurde für das grosse Totenfest tiwah hergestellt. Wichtige Teile des Festes sind die Umbet-
tung der Knochen, das Geleiten der Seelen der Verstorbenen ins Jenseits sowie das Reinigen und Zurückführen der Hinterbliebenen ins normale Leben. Mit den imposanten Skulpturen gedenkt man der Verstorbenen und ehrt sie gleichzeitig. Im Gegenzug beschützen die Toten ihre Nachfahren und sorgen für ihr Wohlergehen.

 

  1. Totenerinnerungsfigur kapatong oder tempatong; Ngaju oder Ot Danum; Zentral-Kalimantan, Indonesien; vor 1982; Holz, Farbreste; Galerie Porchez Paris, Kauf 1982, IIc 19865

 

Die weibliche Figur zierte einst die Spitze eines Opferpfahls. An die Opferpfähle werden die Wasserbüffel gebunden, die im Rahmen des Totenfests tiwah geopfert werden. Nach Abschluss des 33-tägigen Festes werden die Opferpfähle mit anderen Bauwerken, die für
das Fest errichtet wurden, in einen ausgewiesenen Bereich des Dorfes verbracht. Richtung Fluss oder Sonnenaufgang blickend überdauern sie dort viele Jahrzehnte, bevor sie durch Verwitterung langsam ihre Erkennungsmerkmale verlieren und zerfallen.

 

  1. Teil eines Opferpfahles sapundu; Ngaju; Kuala Kapuas, Zentral-Kalimantan, Indonesien; vor 1935; Eisenholz; gesammelt von Mattheus Vischer, Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015,
    IIc 22048

 

Früher wurden nichtadelige Verstorbene in der Region Minahasa auf Sulawesi in einfachen Holzsärgen bestattet: Ein Segment eines ausgehöhlten Baumstammes wurde senkrecht zur Hälfte in die Erde eingelassen, die verstorbene Person in Hockstellung hineingegeben und der Sarg mit einem Stein zugedeckt. Wie und weshalb die Sammler den Sarg erstanden, ist ungeklärt. Wollten sie das vergängliche Material vor dem Zerfall retten? Oder eine Bestattungspraxis dokumentieren?

 

  1. Baumstammsarg; Distrikt Sonder, Bezirk Minahasa, Nord-Sulawesi, Indonesien; vor 1894; Holz, Reste von Bemalung; Slg. Fritz und Paul Sarasin 1894, Geschenk 1904, IIc 333a


 

  1. Certain Fragments

Heinz Gubler

Videoinstallation; 3:12 min

© Heinz Gubler

Bruchstellen

Bruchstücke entstehen durch Praktiken des Teilens. Museen, Kunsthandel sowie private Sammler*innen waren und sind daran beteiligt: Es wird zerteilt, zersägt, zerschnitten
und zerstückelt und nicht selten wieder zu Neuem zusammengefügt. Bei figürlichen Darstellungen fällt dies besonders auf – wenn etwa Körper- oder Geschlechtsteile fehlen
oder Reliefplatten, Sockel und Giebelfiguren von Bauten losgelöst wurden. In vielen
Fällen waren diese Stücke Teile der (häuslichen) Umgebung und stellen soziale,
kulturelle oder religiöse Vorstellungen dar. Einzig die Bruchstellen lassen erahnen,
welche Verbindungen gekappt, zerstört oder aufrechterhalten wurden.

Beschaffenheit – Bruchstellen können kantige, spitze, gespaltene, abgerundete, aber auch glatte Flächen oder Einstecklöcher sein – kurz: jegliche Struktur, die auf eine vormalige Fortsetzung hinweist oder diese erahnen lässt. Sie sind Zeugen vergangener Praktiken des Teilens. Mit Klebstoff, Kittmasse oder Sockeln wurden Bruchstellen kaschiert; der Grat zwischen Erhalten, Beschädigen, Reparieren und Präsentieren ist oft schmal.

Köpfe und Körper – Zahlreiche körperlose Köpfe und beschädigte Figuren befinden sich in der Sammlung. Während bei den einen sichtlich Gewalt angewendet wurde, deuten die Bruchstellen bei anderen auf Alterserscheinungen, natürliche Fragmentierung oder Abnutzung hin. Bleiben Stellen leer, tauchen Fragen zu dem auf, was fehlt.

Architektur – Schnitzereien, Reliefs oder bemalte Oberflächen sind Ausdruck dafür, wie Menschen ihre bauliche Umgebung kreativ gestalten. Ob Ahnendarstellung, religiöse
Motive oder mythologische Gestalten: damit sie zu Museumsobjekten werden konnten, mussten sie erst ‹sammelbar› gemacht werden. Architekturteile wurden abmontiert, abgebrochen, zersägt oder von bereits zerfallenen Bauten eingesammelt, ehe sie in den ‹Markt der Dinge› eintreten konnten.

 

Die Intentionen hinter den Praktiken des Teilens sind aus heutiger Sicht nicht immer nachvollziehbar und selten rekonstruierbar. Ob religiöse Beweggründe, Sammelwut oder Zufall mitspielten, die Fragmentierung bewusst oder unbewusst geschah, bleibt in vielen Fällen offen.

Der Kopf ist in den vorspanischen Vorstellungen Sitz der Identität eines Individuums. Nach dem Prinzip pars pro toto repräsentierte ein Kopf sowohl den gesamten Körper wie auch die dargestellte Person selbst. Den Köpfen wurde deshalb bei der Gestaltung besondere Aufmerksamkeit zuteil. Identitäten wurden durch Attribute wie Haartracht und Schmuck oder die Darstellung von Augen, Mund, Nase und Ohren zum Ausdruck gebracht.

Je nach kulturellem Hintergrund manifestierten die ganzen Figuren Vorstellungen vom menschlichen Körper oder stellten individuelle Persönlichkeiten, Ahnen oder Gottheiten
dar. Solche Figurinen bei den Azteken waren Ausdruck der Volksreligiosität und wurden
für häusliche Heil- oder Fruchtbarkeitsrituale hergestellt.

106.-108.      

Kopf eines Jaguarkriegers; Azteken; Zentralexiko; 1350-1521; Ton;
zwei Köpfe von Gottheiten; Azteken; Zentralmexiko; 1350-1521; Ton;
alle Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 708, IVb 871, IVb 1027
 

109.-112.      

Kopf; Teotihuacan; Azcapotzalco, Mexiko; 600-900; Ton;
zwei Köpfe; Chichimeken; Zentralmexiko; 600-900; Ton;
Kopf; Azteken; Zentralmexiko; 1350-1520; Ton;
alle Slg. Aline Kugler Werdenberg, Geschenk 1948, IVb 1748, IVb 1746, IVb 1749, IVb 1750
 

113.-114.      

Zwei Köpfe; Teotihuacan, Zentralmexiko; 600-900; Ton; Slg. Mario Uzielli, Kauf 1947, IVb 1722, IVb 1727

115.             

Kopf; Teotihuacan, Zentralmexiko; 600-900; Ton; Slg. W. Münsterberger, Geschenk 1946, IVb 1703

116.-120.      

Zwei Köpfe; Tlatilco, Zentralmexiko; 1300-800 v. Chr.; Ton;
Kopf; Azcapotzalco, Mexiko; 200 v. Chr.-650 n. Chr.; Ton;
zwei Köpfe; Teotihuacan, Zentralexiko; 250-800 n. Chr.; Ton;
alle Slg. Hans Annaheim, Kauf 1949 aus Slg. Feuchtwanger, IVb 2298, IVb 2299, IVb 2300, IVb 2301, IVb 2302

121.             

Kopf; Teotihuacan; Zentralmexiko; 600-900; Ton; Slg. Gotthelf Kuhn, Legat 1975, IVb 4599

 

Einerseits gibt es einen natürlichen Prozess der Fragmentierung bei in der Erde befindlichen Figurinen, der durch konstante Druck- und Reibungsbelastung oder durch Material-
ermüdung an den fragilen Extremitäten verursacht wird. Andererseits deuten viele Funde
auf eine bewusste Fragmentierung von Figurinen und grösseren Plastiken hin. Bekannt ist etwa das rituelle Köpfen als Bestandteil von häuslichen Zeremonien, Entweihung von Gebäuden oder Neufeuer-Zeremonien. Bei dieser Zeremonie wurden für fünf Tage die
Feuer gelöscht und die Haushaltsutensilien und Darstellungen von «Idolen» zerstört. Am ersten Tag des neuen Jahres wurden in einer feierlichen Erneuerungszeremonie die Feuer neu entzündet und die Haushaltsgegenstände ausgetauscht.

122.             

Kopf; Zapoteken; Oaxaca, Mexiko; 600–900; Ton; Slg. Antonie Staehelin Schaarwächter, Geschenk 1950, IVb 1902

123.-126.      

Kopf; Zentralmexiko; 1200-200 v. Chr.; Ton;
Kopf; Mexiko; o. Datierung; Ton;
Kopf; Golfküste, Mexiko; 300-900; Ton;
Kopf; Maya; Mexiko; 600-900 n. Chr.; Ton;
alle Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 1053, IVb 425, IVb 399, IVb 420

127.-128.      

Zwei Köpfe; Huasteca, Mexiko; 300 v. Chr.-200 n. Chr.; Ton; Slg. Ernst A. Ritter, Legat 1968, IVb 4206, IVb 4208

129.-131.      

Drei Köpfe; Mexiko; 700 v. Chr.-100 n. Chr.; Ton, Farbpigmente; alle Slg. Locher, Kauf 1971, IVb 4395, IVb 4396, IVb 4397

132.-133.      

Kopf; Mexiko; 600-900; Ton, Farbe;
Kopf; Golfküste; Mexiko; Ton;
beide Slg. Ernst und Annemarie Vischer Wadler, Legat 1996, IVb 5436, IVb 5437

 

Viele der Tonköpfe kamen ohne Fundkontext ins Museum. Dies macht weiterführende Inter-
pretationen schwierig oder gar unmöglich. Der fehlende Kontext und die fortgeschrittene Abnutzung der Bruchstellen verhindern zu bestimmen, welche Fragmentierung intendiert war und welche natürlich entstanden ist. Fehlen darüber hinaus die Darstellung der Haartracht oder Schmuckelemente, ist eine kulturelle Zuordnung nicht möglich. Dies ist auch bei einfachen Fälschungen der Fall, die seit dem 19. Jahrhundert mit Originalmodeln hergestellt werden.

134.-137.      

Kopf; Golfküste, Mexiko; 600-900; Ton; teilweise Farbe;Drei Köpfe; Mexiko; o. Datierung; Ton; alle Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 421, IVb 419, IVb 1129, IVb 1133

138.-141.      

Vier Köpfe; Mexiko; o. Datierung; Ton; Slg. Antonie Staehelin Schaarwächter; Geschenk 1951, IVb 2317, IVb 2331, IVb 2337, IVb 2340

 

Die Transformation von Material spielt in mexikanischen Ursprungsmythen eine zentrale Rolle. Ton ist ein Material, das durch menschliche Intervention transformiert wird. Beim Herstellen von Figurinen durch Modellieren und mit Modeln entsteht und wächst ein Körper. Dieser Schaffensakt wird durch die Transformation des Tons zu Keramik zu
etwas Dauerhaftem. Figurinen sind, wie menschliche Körper, widerstandsfähig und gleichzeitig verletzlich. Das Schaffen von gebrannten Figurinen wird für die Kulturen des vorspanischen Mexikos als Auseinandersetzung mit der Fragilität des menschlichen
Daseins interpretiert.

Tonköpfe waren populäre Sammelobjekte von Museen, Reisenden und Sammler*innen. Mit ihren physischen Merkmalen und exotisch anmutenden Darstellungen formten Köpfe die westlichen Vorstellungen von Menschen anderer Kulturen. Diese Köpfe waren jedoch keine naturgetreuen Abbildungen. Die Umsetzung gesellschaftlicher Normen in eine Kopf- und Körperdarstellung forderte von Hersteller*innen nicht nur eine Beschäftigung mit den philosophischen Grundlagen ihrer Kultur, sie mussten darüber hinaus konkrete Entscheidungen treffen: In welchem Massstab wird ein Kopf oder Körper dargestellt?
Welche körperlichen Aspekte werden betont oder weggelassen?

142.             

Kopf; Westmexiko; 100 v. Chr.-300 n. Chr.; Ton; Slg. René M. Falquier, Depositum 1972, AMDepFalquier 46

143.            

Kopf; Westmexiko; 300 v. Chr. -300 n. Chr.; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 396

144.             

Kopf; Mexiko oder Guatemala; 300-900; Ton; Slg. Carl Gustav Bernoulli, Geschenk 1878, IVb 394

145.-146.     

Zwei Köpfe Smiling Faces; Golfküste, Mexiko; 600-900; Ton; Slg. Ernst und Annemarie Vischer-Wadler, Legat 1995, IVb 5438, IVb 5439

147.-150.     

Kopf Smiling Face; Golfküste, Mexiko; 600-900; Ton;
Kopf; Golfküste, Mexiko; 600-900; Ton; Farbe;
Kopf einer Hohlplastik; Golfküste, Mexiko; 500-700; Ton;
Kopf einer Hohlplastik; Golfküste, Mexiko; 200-500; Ton, Farbe;
alle Slg. René M. Falquier, Kauf 1972, IVb 4504, IVb 4501, IVb 4526, IVb 4539

151.-152.      

Zwei Köpfe; Golfküste, Mexiko; 300-900; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 395, IVb 398

153.            

Kopf; Golfküste, Mexiko; 600-900; Ton; Farbe; Slg. René M. Falquier, Kauf 1972, IVb 4500

 

«Der Steinkopf, ebenfalls von Khmerherkunft, ist im Gesicht wohl sehr verwaschen, aber bei günstiger Aufstellung und Belichtung von oben, die sicherlich bei Ihnen möglich ist, kommt der Ausdruck noch voll zur Geltung» (Rolf Eisenhofer an Fritz Sarasin, 6.12.1929).

  1. Kopf einer Buddhastatue; Lop Buri, Thailand; o. Datierung; Sandstein; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, Jacques Brodbeck-Sandreuter, Geschenk 1929, IIb 310

 

Die Bruchstellen an Hals und Kopf offenbaren das Schicksal der liegenden Stücke. Unabhängig vom Material weisen sie auf die Wucht des Zerteilens hin. Einstecklöcher, Holzzapfen oder Metallstäbe sind stumme Zeugen vergangener Präsentationen und der Ästhetisierung ihrer Versehrtheit. Für diese Ausstellung haben wir die Sockel und Halterungen entfernt, wenn es ohne weitere Beschädigung des Objekts möglich war.

  1. Kopf einer Steinskulptur; antike Region Gandhara, Pakistan; vmtl. 2.-4. Jh.; Kalkstein, vmtl. Travertin; Slg. Jean Eggmann, Geschenk 2003, IIa 11338
  2. Kopf einer Buddhastatue; Lop Buri, Thailand; o. Datierung; Sandstein, Farbpigmente, Holz; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, Alfred Sarasin, Geschenk 1931, IIb 314
  3. Kopf einer Buddhastatue; Kambodscha; vmtl. 11.-12. Jh; Sandstein, Spuren von Kleber und Ergänzungsmasse; Slg. Gotthelf Kuhn, Legat 1975, IIb 3179

 

«Wir zogen oft in eine kleine Strasse im Chinesenviertel, wo die Pfandleiher und Altertums-
händler ihre Buden aufgeschlagen hatten. Wir haben hier eine kleine Sammlung für unser Museum angelegt […] Es ist ein furchtbarer Raubbau mit den Heiligtümern dieses Landes, namentlich denjenigen des Nordens, getrieben worden. Die enthaupteten Buddhabilder sahen wir später zu Hunderten in den Tempeln stehen» (Rudolph Iselin 1949)

Die beiden Köpfe sind auf Sockeln fixiert und lassen sich nur mit dem Risiko einer weiteren Beschädigung lösen. So inszeniert, gerät der Akt der ‹Enthauptung› in Vergessenheit.

  1. Kopf einer Buddhastatue auf Sockel; Bangkok, Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung; Slg. Rudolph Iselin, Legat 1963, IIb 2154
  2. Kopf einer Buddhastatue; Bangkok, Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung, Reste eines Klebeetiketts; Slg. Rudolph Iselin, Legat 1963, IIb 2155

 

Ein Buddhakopf ohne Körper ist Ausdruck von gewaltsamer Aneignung, er missachtet das religiöse Empfinden von Praktizierenden. Losgelöst von ihren Körpern und sorgfältig ausgerichtet mutieren die Köpfe zu Kunstobjekten.

  1. Kopf einer Buddhastatue; Nord-Thailand; 17./18. Jh.; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung; Slg. Werner Rothpletz, Geschenk aus Nachlass 1980, IIb 3465
  2. Kopf einer Buddhastatue; China; Tang-Dynastie, 618-907; Kupferlegierung; Slg. Hans Merian-Roth, Geschenk 1938, IId 1650a

 

«Es wird sehr vorteilhaft sein, wenn Sie die Köpfe, bevor sie Ihre Museumsfreunde sehen, auf einen einfachen Holzsockel stellen» (Rolf Eisenhofer an Fritz Sarasin, 16.11.1929)

Die Sockelung von Köpfen spiegelt den Geschmack der jeweiligen Zeit oder einen möglichen Verwendungszweck. Für eine Studiensammlung mögen hierbei andere Kriterien gegolten haben als für die Präsentation in einer Ausstellung.

  1. Kopf einer Statue; Ban Chiang, Thailand; 12./13. Jh.; Sandstein, Farbpigmente; Slg. Werner Rothpletz, Geschenk aus Nachlass 1980, IIb 3466

 

Ob es sich bei diesem Kopf im Khmer-Stil um einen gekrönten Buddha oder eine hinduistische Gottheit handelt, ist aufgrund des fehlenden Körpers nicht mit Sicherheit zu bestimmen.

  1. Kopf, vmtl. von einer Buddhastatue; Lop Buri, Thailand; o. Datierung; Sandstein; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, Fritz Sarasin, Geschenk 1929, IIb 309

 

Der Händler Rolf Eisenhofer bot dem MKB 1929 zahlreiche Buddhaköpfe an, darunter auch diese beiden. Ein Buddha ist in seinem Ursprungskontext keine Dekoration. Als Gefässe für spirituelle Energien sind Buddhafiguren und -bilder Teil der buddhistischen Praxis.

  1. Kopf einer Buddhastatue; Lamphun, Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung; Rolf Eisenhofer, Kauf 1929, IIb 300
  2. Kopf einer Buddhastatue; Chiang Mai, Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung, Gips; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, FMB, Depositum 1929, IIb 301

 

Der 36,6 kg schwere Buddhakopf aus Stein stammt aus einem Höhlentempel in der chinesischen Provinz Henan. Das MKB hat ihn während des Zweiten Weltkriegs für CHF 500 von einem Architekten aus Riehen angekauft. Mit dem dazugehörigen Sockel konnte der Kopf aufrecht präsentiert werden, gleichzeitig kaschierte er die Bruchstellen am Hals. Die schwarze Line am Stein zeigt den Übergang zwischen sichtbaren und unsichtbaren Bereichen.

  1. Kopf einer Buddhastatue; Henan, China; vmtl. Wei-Dynastie, 220-265; vmtl. Kalkstein; Vorbesitzer Emil Bercher, Kauf 1942, IId 1768

 

Alfred Sarasin-Iselin kaufte diesen Buddhakopf in München und schenkte ihn 1934 dem Museum. Ob das Fragment tatsächlich aus der buddhistischen Klosterruine von Takht-i-Bahi in der antiken Region Gandhara stammt, ist bislang nicht zweifelsfrei geklärt.

Ein Buddhakopf funktioniert als emblematische Ikone: der Kopf ist in der Regel leicht wiederzuerkennen.

  1. Buddhakopf; antike Region Gandhara, Pakistan; vmtl. 3./4. Jh.; Kalkstein, Pigmentreste; Slg. Alfred Sarasin-Iselin, Geschenk 1934, IIa 667

 

Ob dieses Bruchstück Ergebnis gewaltsamer Zerstörung ist, oder ob natürliche Verwitterung zur Fragmentierung geführt hat, ist nicht mehr festzustellen. Am Objekt finden sich Spuren einer früheren Montage, die belegen, dass der kleine Kopf als Einzelstück auf einem Sockel entweder privat oder öffentlich präsentiert wurde.

  1. Kopf einer Buddhastatue; Thailand oder Myanmar; o. Datierung; Sandstein, Farbpigmente, Reste von Gips; Slg. Paul Wirz, Kauf 1935, IIb 664

 

Die Darstellung eines Buddha wurde bereits in frühen buddhistischen Schriften festgelegt; sie ist bis heute für Kunstschaffende verbindlich und erfährt im religiösen Kontext wenig Veränderungen.

  1. Kopf einer Buddhastatue; Ayutthaya, Thailand; 19. Jh.; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung, Pigmentreste; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, Kauf mit Mitteln aus dem Legat Nötzlin-Werthemann, 1929, IIb 305
  2. Kopf einer Buddhastatue; Ayutthaya, Thailand; vmtl. 17. Jh.; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung; Slg. August Meyer, Geschenk aus Nachlass 1977, IIb 3380
  3. Kopf einer Buddhastatue; Thailand; vmtl. 19. Jh.; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung, Pigmentreste; Slg. Gotthelf Kuhn, Legat 1975, IIb 3174
  4. Kopf einer Buddhastatue; Thailand; vmtl. 19. Jh.; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung, Pigmentreste; Slg. Gotthelf Kuhn, Legat 1975, IIb 3175
  5. Kopf einer Buddhastatue; U’Thong, Lop Buri, Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung, Reste von Vergoldung, Pigmentreste; Vorbesitzer Rolf Eisenhofer, Kauf mit Mitteln aus dem Legat Nötzlin-Werthemann, 1929, IIb 302
  6. Kopf einer Buddhastatue; Ayutthaya, Thailand; vmtl. 16. Jh.; Kupferlegierung, Holz, Klebstoff; Slg. August Meyer, Geschenk aus Nachlass 1977, IIb 3379

 

«Schöne Höhle Tham Phra […] In der ersten ein kleiner Tempel eingebaut, dahinter sehr viele Buddhas in Stein, Holz, Thon u. Metall, viele ohne Kopf. Schichten einen ganzen Haufen von Buddhatrümmern. Wäre ein guter Platz zum Graben, wenn Erlaubnis erhältlich. Kleiner Buddhakopf mitgenommen» (Reisetagebuch Fritz Sarasin).

  1. Kopf einer Buddhastatue; Tham Phra, Chiang Rai, Thailand; o. Datierung; Engobe; Slg. Fritz Sarasin und Rudolph Iselin, Geschenk 1932, IIb 342

 

Diese Büste schenkte der in Thailand lebende Schweizer Architekt Charles A. Béguelin dem Basler Rudolph Iselin. Die Bruchlinie verläuft schräg durch den Oberkörper. Mithilfe einer Eisenstange wurde die Büste auf einen Sockel montiert. Die an der Stange entstehende Korrosion greift den in der Figur verbliebenen Gusskern an und zersetzt ihn langsam. Die Stange wird nach Beendigung der Ausstellung entfernt.

  1. Büste einer Buddhastatue; Thailand; o. Datierung; Kupferlegierung; Vorbesitzer Charles A. Béguelin, Rudolph Iselin, Legat 1963, IIb 2153

 

Der Wunsch nach vollständigen Figuren regte Sammlerinnen, Händler und Museumsmitarbeitende an, kreative Zusammenstellungen anzufertigen − wenn etwa körperlose Köpfe auf andere Körper montiert wurden. Fein säuberlich ausgerichtet und mit etwas Leim nachgeholfen, fallen die kaschierten Bruchstellen und unterschiedlichen Gesteine, Zusammensetzungen des Tons und verschiedenen Herstellungsverfahren kaum auf. Bei einigen der Figuren stammen Kopf und Körper aus der gleichen Kultur, bei anderen aus unterschiedlichen Kulturen und Epochen.

  1. Figur; Azteken; Körper und Kopf: Mexiko; 1350-1521; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 1101
  2. Mutter mit Kind; Sukhothai, Thailand; vor 1971; Keramik; Slg. Lucas Staehelin-von Mandach, Geschenk 1971, IIb 2960
  3. Sitzende Krippenfigur; Körper: Zentralmexiko; 1550-1700; Kopf: o. Datierung; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 1026
  4. Figur; Azteken; Körper und Kopf: Mexiko; 1350-1521; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 1148
  5. Sitzende Figur; Körper: Azteken; Mexiko; 1350-1521; Kopf: o. Datierung; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 526

 

Einarmig oder kopflos: fehlende Körperteile fallen auf. Ob die Bruchstellen mit Absicht oder aufgrund der Fragilität des Materials entstanden sind, lässt sich nicht mehr feststellen.
Offen bleibt auch, zu welchem Zeitpunkt die Figuren zu Stückwerken wurden: War es die intensive Nutzung, die Art der Aufbewahrung, oder entstanden die Brüche beim Transport ins Museum? Die verborgenen Geschichten hinter den Fragmentierungen sind wohl vielfältig, aber viele Objekte behalten die Hintergründe ihrer Verwundung für sich.

  1. Sitzende Figur; Sherbro, Sierra Leone; vmtl. 15./16. Jh.; Stein; Vorbesitzer W. Greensmith, Walter Volz, Kauf 1907, III 2557
  2. Zwei stehende Figuren; Azteken; Zentralmexiko; 1350-1521; Ton; Slg. Lukas Vischer, gesammelt 1828-1837, IVb 441, IVb 471
  3. Tonfigur; Golfküste, Mexiko; 500-900; Ton; Slg. Antonie Staehelin-Schaarwächter, Geschenk 1951, IVb 2316
  4. Statue eines Geistlichen; Leuk, Wallis Schweiz; um 1600; Holz; Slg. Leopold Rütimeyer, Geschenk 1919, VI 8966
  5. Statue Maria mit Kind; Winterschwil, Aargau, Schweiz; 16. Jh.; Holz; Slg. Jakob Lörch, Kauf 1909, VI 3025
  6. Tempelfigur einer Musikerin; Gujarat, Indien; vor 1960; Holz; Slg. Georges Gogel, Kauf 1960, IIa 2359

 

Bei geschnitzten Figuren werden Geschlechtsmerkmale oft betont, indem Genitalien oder Brüste vergrössert herausgearbeitet werden. Diese offensive Darstellung von Geschlechtsmerkmalen stellte – vor allem für christliche Missionare – eine Provokation dar. Sexuelle Repräsentationen von Frauen und Männern wurden deshalb in einigen Fällen
‹neutralisiert›, indem Geschlechtsteile abgehackt wurden.

Das Erschaffen von Schnitzwerken ist bis heute ein wichtiger Bestandteil der Māori-Kultur. Dachaufsatzfiguren wie diese wurden am First von Vorrats- oder Versammlungshäusern befestigt. Sie gelten als Ahnen, die die Lebenden anleiten und beschützen.

  1. Figur tekoteko; Ngāti Porou, Aotearoa-Neuseeland; vor 1911; Holz (Podocarpus totara); Slg. Jean de Hollain, Kauf und Geschenk 1912, Vc 241

 

Inspiriert durch Jagd- und Schutzmythen wurden entlang des Yuat-Flusses männliche und weibliche Figuren angefertigt. Solche Figuren wurden auch gegen Krankheiten eingesetzt.

Der männlichen Holzfigur fehlt nicht nur Kopf und Tierfigur auf dem Rücken. Hinter dem Faserschurz ist auch das Geschlechtsmerkmal nicht mehr vorhanden. Der Grund für diese Neutralisierung ist nicht bekannt.

  1. Männliche Figur; Yuat, Papua-Neuguinea; vor 1955; Holz, Faser; Expedition Alfred Bühler 1956, Kauf 1962, Vb 17677

 

Das Zerstören von rituellen Gegenständen und religiösen Bildnissen war bereits ab dem 16. Jahrhundert missionarische Praxis. Durch Verbrennen, Zerschlagen oder Zerstückeln wollten Missionar*innen gegen das «Heidentum» vorgehen. Zerstörte Figuren wurden als Siegeszeichen des Christentums und der Mission gewertet und dienten der Machtdemonstration. Diese Stücke einer Gottheit oder einer vergöttlichten Ahnenfigur stammen aus der Sammlung der Basler Mission. Missionar Gustav Peter hat selbst bekannt, dass er an der Verbrennung von «Götzentempeln» beteiligt war.

  1. Beschädigte Figur einer Gottheit oder eines vergöttlichten Ahnen; Südindien; vor 1904; Ton; Sammler Gustav Peter, Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, IIa 9828

 

Sind von figürlichen Darstellungen nur Bruchstücke vorhanden, gestaltet sich die Identifizierung des Abgebildeten oft schwierig. Hier verraten uns die Attribute der Steinskulptur, dass es sich um die Hindugottheit Parvati handelt, die Gemahlin Shivas. In der rechten Hand hält sie eine Gebetsschnur, ein Lotosstängel mit Knospe schmiegt sich an ihre rechte Körperseite. In ihrer linken Hand hält sie einen Fliegenwedel. Die Bruchstelle verläuft auf Hüfthöhe, der gesamte Unterkörper und Teile der Arme fehlen. Die beiden Löcher an der Unterseite zeugen von früheren Montageversuchen und Bemühungen, weitere Bruchstellen zu kaschieren.

  1. Parwati; Zentral-Java, Indonesien; 9.-11. Jh.; Stein; Slg. Werner Rothpletz, Kauf 1980, IIc 18748

 

Borobudur, die grösste buddhistische Tempelanlage der Welt, ist als Stupa gebaut und hat die Form einer begehbaren Stufenpyramide. Die Galerien der unteren Ebenen werden von über 1300 erzählerischen Reliefpaneelen flankiert. Neben dem Leben und Werdegang Buddhas sind auch Szenen des täglichen und rituellen Lebens auf Java im 8. Jahrhundert dargestellt. Folgen Pilger*innen diesen Geschichten, umkreisen sie das Denkmal mehrmals. Die Steinplatte ist ein kleiner Ausschnitt aus einem Figurenprogramm, der ohne Fortsetzung unverständlich bleiben muss: Die Bruchstellen kappen die Verbindung zur umfassenden Erzählung.

  1. Fragment eines Steinreliefs; Borobudur, Zentral-Java, Indonesien; vmtl. 8.-9. Jh.; Stein; Depositum FMB 1964, IIc 15924


«Durch das Fehlen eines Teils von Ohr und Schmuck ist das Flickwerk eindeutig erkannt».

In den 1960er-Jahren wurde im MKB intensiv über den Ankauf dieses Bodhisattva Padmapani diskutiert. Die schräge Bruchstelle auf der Rückseite, der zurechtgerückte Kopf und die Leerstellen bei Ohr und Schmuck führten schliesslich zum Entschluss, die Statue nicht anzukaufen. Da das Depositum von Richard Koch jedoch nie aufgelöst wurde, überliess seine Frau Rose nach dem Tod ihres Mannes dem Museum die Figur als Geschenk. Padmapani, der «Lotosträger», ist eine Erscheinungsform des Bodhisattva Avalokiteshvara, der Verkörperung des umfassenden Mitgefühls. Sogar der Stängel der Lotosblume in der linken Hand der Statue ist unterbrochen, die Blüte schwebt aufgrund der kaschierten Bruchstelle einfach in der Luft.

  1. Bodhisattva Padmapani; Zentral-Java, Indonesien; vmtl. 9.-10. Jh.; Stein; Depositum Richard E. Koch 1964, Geschenk Rose Koch-Lampert 1984, IIc 15925

 

Himmlische Nymphen werden in der hinduistischen Architektur oft dynamisch und bewegt dargestellt. Vom Unterkörper getrennt, ist bei diesem Relief-Fragment die Bewegung nur
zu erahnen. Das Sechskant-Metallstück im Rücken muss nach dem Zerteilen hinzugefügt worden sein. Es sollte wohl die senkrechte Montage an einer Wand ermöglichen, damit die halbe Nymphe möglichst gut zur Geltung kommen konnte. Unfreiwillig wurde die Metallstange zum Zeugen brachialer Vorrichtungen und legt jetzt als Stütze den Blick
auf die Bruchkanten im Stein frei.

  1. Fragment einer Himmelsnymphe; Südindien; vor 1975; Stein, Metall; Slg. Gotthelf Kuhn, Legat 1975, IIa 6551

 

Das Relief war vermutlich Teil eines indischen Tempelwagens. Die Holzzapfen an Ober- und Unterseite zeigen, dass es in eine grössere Szenerie eingebunden war. Aus dem Zusammenhang gelöst ist die dargestellte Szene schwer zu deuten. Möglicherweise ist es die Geschichte von Shiva in der Erscheinung als Kalari-Murti, der dem Jüngling Markandeya für seine hingebungsvolle Verehrung ewige Jugend verspricht.

  1. Figurenfragment eines Tempelwagens; Indien; vmtl. Mitte 20. Jh.; Holz; Slg. Kurt und Susanne Reiser-Erny, Geschenk 2005, IIa 11414

 

Darstellungen von Gottheiten dienen der Kommunikation mit dem Göttlichen und sind fester Bestandteil der hinduistischen Sakralarchitektur. Das Holzrelief stellt die Geschichte von der Errettung des Elefantenkönigs Gajendra dar. Als dieser von einem Krokodil, der Verkörperung der Triebhaftigkeit, attackiert wird, erscheint Gott Vishnu. Auf seinem Reittier, dem vermenschlicht dargestellten Sonnenadler Garuda, eilt er Gajendra zu Hilfe.

Die Szene war von weiteren Darstellungen umgeben, was die schroffen Bruchkanten zeigen. Mit einer grünlichen Masse sollten die Brüche kaschiert und die Fehlstellen ergänzt werden.

  1. Relief der Gottheit Vishnu; Indien; um 1880; Holz; Museum.BL, Depositum seit 1998, IIa 11131

 

Hölzerne Prozessionswagen werden anlässlich besonderer Festtage durch Dörfer oder Städte gezogen. Sie bringen Geschichten der Hindu-Gottheiten auch denjenigen nahe, die den Tempel nicht besuchen können. Der mehrköpfige und vielarmige Subramanya sitzt auf seinem Reittier, einem Pfau, Symbol der Unsterblichkeit. Seine rechte vordere Hand zeigt die Schutzgeste, die entsprechende linke die Geste der Wunschgewährung. Sein rechter
Fuss ruht auf einer Lotosblüte, Symbol der Reinheit und Hinweis auf seine Mutter, die Flussgöttin Ganga.

  1. Subramanya, Figurenfragment eines Prozessionswagens; Südindien; Anfang 20. Jh.; Holz; Slg. Jean Eggmann, Geschenk 2003, IIa 11354

 

Auf diesem Fragment eines Prozessionswagens ist eine reich geschmückte Tänzerin oder Himmelsnymphe zu sehen. Während die Bruchkanten links und rechts auf ein sorgfältiges Herauslösen der Figur aus dem Architekturprogramm hinweisen, hat die untere Bordüre beim Akt des Teilens sichtlich mehr gelitten. Zahlreiche Bohrlöcher auf der Rückseite verweisen auf frühere Montagen.

  1. Figurenfragment eines Prozessionswagens ratha; Indien; vor 1933; Holz; Slg. Jean Roux, Geschenk 1933, IIa 665

 

Die Tänzerin ist in der tribhanga-Körperhaltung dargestellt, der dreifachen Beugung an den Schultern, der Hüfte und den Knien. Sie erinnert an klassische indische Tanzstile. In ihrer Hand über dem Kopf hält sie ein Yakschweifwedel, dessen Spitze wohl der geraden Schnittkante beim Zerteilen des Reliefs zum Opfer gefallen ist. Die gezackte Bruchkante an der rechten Seite lässt erahnen, wie viel Kraft nötig war, um die Tänzerin aus der sie umgebenden Geschichte zu entfernen.

  1. Holzfragment mit der Darstellung einer Tänzerin; Indien; 20. Jh.; Holz; Slg. Ernst Handschin, Geschenk 1994, IIa 10904

 

Terrakotta-Reliefs zierten vom 17. bis zum 19. Jahrhundert viele Tempel in der Region Bengalen. Die dargestellte Hindugöttin Kali hat einen ambivalenten Charakter: Einerseits ist sie die Göttin der Zerstörung und des Todes. Andererseits wird sie als liebende Muttergottheit verehrt. In ihrer zornvollen Erscheinung hat Kali vier Arme, sie hält ein Schwert und den abgeschlagenen Kopf eines Dämons in den Händen. Ihr Ehemann, der Gott Shiva, hat sich ihr zu Füssen geworfen, damit sie innehält in ihrem rasenden Zorn.

  1. Relief der Göttin Kali; Bengalen, Indien; 18./19. Jh.; Ton, Holz, Farben; Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, IIa 9825

 

Kali ist die zornvolle Erscheinungsform der Göttin Durga, einer der beliebtesten weiblichen Gottheiten der Hindu-Religionen. Die sitzende Figur auf diesem Relief könnte Durga darstellen. Die beiden Frauen zur Linken sowie der Mann zur Rechten von Kali sind vermutlich Verehrer*innen. Einmal in Stücke zerbrochen, halten heute Holzplatten und Leim die Tonreliefs zusammen. Wann die Bruchstellen fixiert wurden, ist unklar.

  1. Relief der Göttin Kali; Bengalen, Indien; 18./19. Jh.; Ton, Holz, Farben; Slg. Basler Mission, Depositum 1981, Geschenk 2015, IIa 9827

 

Im peruanischen Sarhua werden Häuser mit Hilfe von Freunden und Familienangehörigen gebaut. Ein Paar wird als Pate für die Weihung des Hauses ausgewählt. Seine Aufgabe ist
es, den Stützbalken für die Decke herzustellen und zu bemalen. Die Widmung erwähnt
ihre Namen und das Datum der Fertigstellung. Die Bemalung zeigt Heilige, Familienmitglieder und am Bau Beteiligte bei für sie typischen Tätigkeiten sowie die Sonne. In Sarhua werden heute bemalte Hausbalken unterschiedlicher Grössen für den Verkauf hergestellt.

  1. Stützbalken mit Bemalungen zur Hausweihung; Sarhua, Ayacucho, Peru; 1976; Holz, Farbe;
    Slg. Valentin Jaquet, Geschenk 2012, PE 813

 

Die Zeremonialhäuser bei den Kwoma hatten V-förmige Dächer und waren auf beiden Seiten offen. Geschnitzte Firstbalken verlängerten die Dächer optisch. Die hölzernen Gesichter und Vögel schauten auf die Menschen herab. Während die Malereien und Skulpturen im Inneren für nicht Eingeweihte verborgen blieben, waren die Firstbalken von weit her sichtbar. Dem Wetter ausgesetzt, verloren die Schnitzereien nach und nach Struktur und Farbe. Wann dieser Firstbalken in zwei Teile zerbrach, ist nicht überliefert. Nach seiner Ankunft im MKB wurde der Vogel 1965 wieder an dem Balken befestigt. Nagel, Leim und Loch erinnern noch an die Bemühungen, die Bruchstellen zu kaschieren.

  1. Giebelpfosten in zwei Teilen; Kwoma; Washkuk-Hügelland, Papua-Neuguinea; vor 1955; Holz, Farbe; Alfred Bühler und Dadi Wirz, Kauf 1963, Vb 19919a+b

 

Manche der Firstbalken kamen bereits in Einzelteilen ins Museum. Die abgebrochenen Flügel der vogelartigen Figur legen das helle Holz frei und lassen die Wucht des Abschlagens erahnen. Die Bruchstelle am unteren Ende des Balkens deutet auf eine Fortsetzung hin.

  1. Stück eines Giebelpfostens; Kwoma; Washkuk-Hügelland, Papua-Neuguinea; vor 1955; Holz; Alfred Bühler und Dadi Wirz, Kauf 1963, Vb 19922

 

Verzierungen von Gebäuden waren beliebte Sammlungsobjekte für Ethnolog*innen. Das Zierstück ist ein Dämonenkopf ohne Unterkiefer, mit floralem Bart und grossen Eckzähnen (karang tapel).

  1. Zierstück mit karang tapel-Motiv; Bali, Indonesien; vor 1938; Holz, Farbe, Goldfarbe oder Reste von Blattgold; Slg. Ernst Schlager, Geschenk Sandoz AG 1938, IIc 7053

 

Einstecklöcher sind Zeugen gekappter Verbindungen zum ehemaligen Bauwerk. Der  Stützsockel für einen Mitteldachpfosten zeigt ein fürstliches Paar (möglicherweise Rama und
Sita) in Tanzpose sowie Bhoma-Köpfe an den Seiten (karang bhoma) und Rabenköpfe als Eckverzierung (karang goak).

  1. Stützsockel sendi, für Mitteldachpfosten; Sanur, Bali, Indonesien; vor 1980; Holz, Farbe; gekauft von Urs Ramseyer 1980 im Rahmen einer Forschungsreise, IIc 19507

 

Neben künstlerischer Qualität und ästhetischer Ausdruckskraft verkörpern Architekturteile Aspekte und Vorstellungen der hindu-balinesischen Religion und des damit einhergehenden Weltbildes. Die Dreigliedrigkeit in Ober-, Mittel- und Unterwelt bestimmt auch die Bauart der Gebäude, die ein Haupt (Dach), einen Körper (Wohnraum) und Füsse (Fundament) haben. Stützsockel (sendi) werden entweder im Fundament als Basis für Tragpfeiler verwendet oder dienen als Sockel der Pfeiler im Dachrahmen, die den Firstbalken stützen. Eines der auffälligsten Verzierungselemente in der balinesischen Architektur ist der Kopf des Dämonen Bhoma. Man findet sein Gesicht mit den grossen, aufgerissenen Augen und den furchteinflössenden Reisszähnen an Tempel- oder Palasteingängen genauso wie an Stützsockeln. Als Sohn des Gottes Wisnu und der Erdgöttin Pertiwi wird er als Erd- und Unterweltdämon geboren. Auf Architekturteilen hat er eine apotropäische Wirkung: Er
hält negative Einflüsse fern und wehrt böse Geistwesen ab.

  1. Stützsockel sendi, aus einer Dachkonstruktion mit Bhoma-Kopf; Bali, Indonesien; vor 1937; Holz, Farbe; Slg. Theo Meier, Kauf 1937, IIc 6869
  2. Sockel sendi, mit Bhoma-Kopf; Bali, Indonesien; vor 1960; Holz, Farbe; Slg. Werner Rothpletz, Geschenk aus Nachlass 1981, IIc 18881
  3. Sockel sendi, eines Hauspfostens mit Bhoma-Kopf; Klungkung, Bali, Indonesien; vor 1972; Holz; gekauft von Urs Ramseyer 1972/73 im Rahmen eines Forschungsaufenthaltes, IIc 17611
  4. Stützsockel sendi, mit Bhoma-Kopf; Klungkung, Bali, Indonesien; vor 1930; Holz, Farbe; Slg. Paul Wirz, Kauf 1930, IIc 2758a+b

 

Palastbauten, Häuser von Würdenträger*innen und Versammlungsorte wurden in Kamerun oft mit aufwendigen Schnitzereien gestaltet. Menschliche Darstellungen zierten Trägerpfosten und Türpfeiler. Übereinander angeordnet hielten die Figuren oft Gegenstände wie Trinkhörner, Kalebassen oder Trophäen in der Hand. Bei diesem Pfosten können wir nur noch erahnen, was die mittlere Figur in den Händen hält.

  1. Pfosten; Kamerun; vor 1921; Holz; Slg. Herman Rolle, Kauf 1921, III 5621

 

Bei den Marind-anim wurden verschiedene Bauten für das soziale und kulturelle Leben errichtet. Der Ethnologe Paul Wirz bezeichnete dieses Architekturstück als «Pfosten einer Festhütte». Die Gabel oben diente wohl als Auflagefläche und Stütze für waagerechte Balken. Schnitzereien und Farbe zieren den Pfosten. Während das menschliche Gesicht nach unten blickt, schlingen sich links und rechts zwei Krokodile um das Architekturstück.

  1. Pfosten einer Festhütte; Südostküste, Papua, Indonesien; vor 1923; Holz, Farbe; Slg. Paul Wirz, Geschenk 1923, Vb 6318

 

Als Tragpfeiler stützen solche Skulpturen die Verandadächer im Innenhof des Königspalastes von Idanre. Schmucknarben zieren Gesicht, Brust und Arme dieser Skulptur, die wohl einen mythischen und hochrangigen Krieger darstellt. Die Öffnung oberhalb des Kopfes diente als Einsteckstelle für einen weiteren Balken.

  1. Tragpfeiler; Idanre, Nigeria; vor 1976; Holz, Farbpigmente; Slg. L. Doumbia, Kauf 1976, III 19535

 

  1. Close-Up
    Detailaufnahmen von Objekten der Ausstellung «Stückwerk», 2022
    © MKB, Fotograf Omar Lemke und Mitglieder des Teams Konservierung & Restaurierung

IIa 9825, Relief der Göttin Kali; IIb 300, Kopf einer Buddhastatue; IIb 301, Buddhakopf; IIc 23, Becken zum Brotbacken; IIa 9827, Relief der Göttin Kali; IIc 333, Baumstammsarg; IIc 15925, Bodhisattva Padmapani; IIc 18881, Sockel sendi mit Bhoma-Kopf; IIc 19865, Totenerinnerungsfigur kapatong oder tempatong; IId 1768, Kopf einer Buddhastatue; IId 6062, Mantel hanten; IId 10766, Teeschale chawan; III 1391, Kraftfigur nkisi nkonde; III 2007, Reliquiar byeri; III 3025, Kraftfigur nkisi; III 3670, Kraftfigur nkisi; III 4019, Kraftfigur nkisi nkonde; III 5078, Kraftfigur biteki; III 13136, Kalebasse; III 13137, Kalebasse; III 14527, Schale; III 14790, Holzschale; III 18076, Hemd (vmtl.) eines Musikers; III 20694, Jägerhemd; III 23539, Figur Sakpata; III 23807, Umschlagtuch ntshak; III 26439, Jägerhemd; III 24800, Kalebasse; IVb 3870, mola-Bluse; IVb 5438, Kopf Smiling Face; IVc 26753, Männliche Statue foonhunraaga; VI 31754, Klosterarbeit mit Reliquien; IVb 4501, Kopf einer Hohlplastik; Vb 4715, Schale; Vb 4976, Holzschale; VI 1442, Schüssel; VI 3412, Krug; VI 8066, Teppich; VI 23927a, Haussegen; VI 66278, Kupferkessel; VI 69262, Fasnachtskostüm; VI 70518.05, Rahmbecken; VII 597, Schamanisches Gewand

Schauwerkstatt – Einblicke in die Restaurierung

Das Team der Konservierung und Restaurierung (K&R) übernimmt bei jeder Ausstellung wichtige Aufgaben, die für das Publikum selten sichtbar sind. In der Ausstellung «Stückwerk» geben die Mitarbeiter*innen Einblicke in ihre vielfältigen Tätigkeiten.

Bearbeiten – Bei der Vorbereitung von Objekten für Ausstellungen ist als erstes zu klären, ob sie im vorliegenden Zustand ausgestellt werden können oder verändert werden müssen. Mit anderen Worten: Konservieren oder restaurieren? Soll Schmutz oder schädlicher Rost entfernt werden? Wann sollte an einem Objekt geklebt oder genäht werden, wann verlangt
es eine Ergänzung? Wie ist ein Objekt zu behandeln, damit keine weiteren Schäden ent-
stehen? Wie sichtbar soll der Eingriff sein? Bei allen Überlegungen steht immer der Erhalt des Objekts im Vordergrund.

Untersuchen – Unser Verständnis eines Werks ist immer bruchstückhaft. Wir untersuchen die Oberflächen eines Objekts durch ein Mikroskop oder mit blossem Auge. Was wir sehen und erfahren, vergleichen wir mit dem neuesten Fachwissen zu Materialien und Techniken sowie mit Informationen zur Geschichte eines Objekts.

Dokumentieren – Alle Objekte unterliegen Alterungsprozessen und weisen Nutzungsspuren auf. Darüber hinaus können historische Reparaturen, frühere Restaurierungen und Präsentationen den heutigen Zustand prägen. Deswegen ist es unerlässlich, den Zustand eines Objekts schriftlich und fotografisch festzuhalten, und zwar vor und während seiner Bearbeitung. Diese Dokumentationen sind Grundlage für zukünftige Bearbeitungen.

Wir lassen einen Stoff wachsen

Wir laden Sie ein, gemeinsam an einem textilen Stückwerk zu arbeiten. Lassen Sie sich dabei von den Textilien der Ausstellung inspirieren. Die Breite der entstehenden Stoffbahn entspricht mit 38 Zentimetern der Webbreite eines japanischen Kimonos, der auch als Grundlage für Gewänder der Ainu verwendet wird, wie in der Ausstellung zu sehen ist.

Der Anfang ist gemacht, das Stückwerk wächst und wächst: Fügen Sie weitere bunte Stoff-
streifen mit dem Vorstich an die bestehende Stoffbahn an. Nach Wunsch können Sie diese Stoffstreifen mit Knöpfen, Spiegeln, Münzen und anderen Accessoires verzieren. Alle Techniken, die Sie benötigen, werden im Film gezeigt. 

Zum Ende der Ausstellung fertigen wir aus dem entstandenen Stoff kleine Taschen im japanischen Stil, die verlost werden. Als Los dient Ihr Eintrittsbillett. Bitte schreiben
Sie Ihren Namen und Ihre Adresse auf das Billett und werfen es anschliessend in die bereitgestellte Box. Die Gewinner*innen werden nach Abschluss der Ausstellung «Stückwerk» ermittelt. Mit etwas Glück gehört eine der Taschen Ihnen.